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Der Gott der kleinen Dinge

Der Gott der kleinen Dinge

Arundhati Roys Der Gott der kleinen Dinge (1997) ist einer der bekanntesten postkolonialen Romane. Er wurde 1997 mit dem Booker-Preis ausgezeichnet und seither in über vierzig Sprachen übersetzt. Anette Grube übersetzte ihn ins Deutsche. Roy äußerte in einem Interview, dass die emotionale Substanz dieses Buches autobiographisch sei, da sie in Kerala geboren und zur Architektin ausgebildet wurde. Ihr Schreibprozess dauerte über vier Jahre. Der Gott der kleinen Dinge ist in den historischen Kontext des Aufstiegs des Kommunismus und der Naxaliten-Bewegung in Kerala eingebettet. Eines der Hauptanliegen des Romans ist die Entmenschlichung der Dalits. Die im Roman porträtierten marginalisierten Gruppen sind zwar heute sichtbarer, doch ihre Diskriminierung hält ununterbrochen an.

Der Gott der kleinen Dinge beginnt mit einer eingehenden Beschreibung der Atmosphäre des südindischen Dorfes Ayemenem, dem Schauplatz des Romans. Die Ortsbeschreibungen in diesem Anti-Kasten-Roman, insbesondere die des Flusses und des Hauses, ermöglichen den Leser*innen nicht nur, eine imaginäre Karte der Umgebung zu erhalten, sondern spiegeln auch die Emotionen der Protagonist*innen wider und lassen erahnen, was als Nächstes passieren wird. Die Erzählerin schafft es sogar, den Leser*innen den Geruch einer bestimmten Szene zu vermitteln. Außerdem wird die Erzählung durch den Gebrauch von Kursiv- und Versalienschrift bei bestimmten Gegenständen animiert.

Meiner Ansicht nach macht insbesondere die fragmentarische Erzählweise diesen Roman einzigartig. Diese gleicht durch den Gebrauch freier Assoziationen zwischen Erlebnissen, Orten, Menschen, Empfindungen und Gegenständen der Art und Weise, wie unser Gedächtnis funktioniert. Aus Sicht einer allwissenden Erzählstimme, die sich zwischen den Jahren 1962 und 1993 hin und zurück bewegt, erhalten wir Schnappschüsse jeder Generation, die mal im Ayemenem-Haus gelebt hat oder immer noch lebt. Während eines zweiwöchigen Besuchs der halb-englischen Cousine Sophie Mol im Jahre 1969 finden traumatische Erlebnisse statt, die allerdings erst zwanzig Jahre später erzählt werden. Der Hauptkonflikt dreht sich um Kastenzugehörigkeit und Liebe, dargestellt in der heimlichen Affäre zwischen Ammu, einer Frau aus einer syrisch-christlichen Familie, und Velutha, einem Mann aus einer Paravan-Familie, die auf der anderen Seite des Flusses lebt. Als die syrisch-christliche Familie von der heimlichen Affäre erfährt, explodieren die Älteren vor Wut. Beim Versuch der Kinder, dieser Situation über den Fluss zu entfliehen, ertrinkt Sophie Mol. Velutha wird fälschlicherweise der Entführung der Kinder und des Todes von Sophie Mol beschuldigt und von der Polizei zu Tode geprügelt. Nach diesen beiden Todesfällen zerbricht die syrisch-christliche Familie.

Im Vergleich zu Kurzgeschichten bieten Romane mehr Raum für Kreativität. Das Arrangement dieses Raumes fügt Nuancen zu den Metaphern hinzu. So wird beispielsweise das Überqueren des Flusses zu einem symbolischen Akt, die Türen des Hauses repräsentieren Freiheit und das „Haus des Wissens“ die Kolonialgeschichte. Pappachis Haltung als „imperialer“ Entomologe und seine Kleidung oder die Obsession von Baby Kochamma mit „korrekter“ englischer Aussprache können als Spuren kolonialer Elemente interpretiert werden. Insgesamt machen die außergewöhnliche Struktur sowie die einzigartige Erzählstimme es die Mühe wert, die Fragmente dieses modernen Romans zu entziffern.

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