Race und Technologie
Louis Chude-Sokei ist in Nigeria geboren, teilweise in der Karibik aufgewachsen und arbeitet heute als Universitätsprofessor in den USA. Als Literatur- und Kulturwissenschaftler liegt sein Schwerpunkt auf Schwarzer Literatur aus Westafrika, der Karibik, Nordamerika und Europa. Aber da er immer schon ein Science-Fiction- und Musik-Liebhaber war, fing er an, sich mit Technologie beschäftigt. Sein Essayband Race und Technologie verbindet seine Interessen und ist dieses Jahr im August Verlag in der Übersetzung von Utku Mogultay erschienen.
Chude-Sokei untersucht die historischen Verbindungen zwischen Race und Technologie. Er schaut zurück bis in die Zeit des transatlantischen Versklavungshandels und arbeitete sich über verschiedene historische Stationen vor bis zu aktuellen Fragen rund um künstliche Intelligenz. Narrative, die besagen Technologie sei von und für weiße Menschen, hält Chude-Sokei für falsch. Die Geschichte der Technologie ist auch eine derjenigen, für die sie nicht vorgesehen war. Dieser akademische Essayband ist viel zu dicht und umfangreich, als das eine kurze Rezension ihm gerecht werden könnte. Deshalb hebe ich hier nur ein paar Aspekte hervor, die mir besonders ins Auge gestochen sind, und empfehle dann allen, sich selbst viel Ruhe und Zeit für dieses Buch zu nehmen, das so viele relevante Themen unserer Zeit streift und ihre historischen Verbindungen aufzeigt.
Chude-Sokei erklärt auf faszinierende Weise, dass sich der Begriff des Roboters von Zwangsarbeit ableitet. Anfang des 20. Jahrhunderts tauchte der Begriff erstmals in dem Theaterstück R.U.R. (Rossum’s Universal Robots) von Karel Čapek auf, das Wort wurde von dem slawischen robota abgeleitet, was niedere Arbeit, aber im Grunde genommen Sklaverei bedeutet. Der tschechische Schriftsteller hatte wahrscheinlich weniger die einstige Versklavung von Schwarzen Menschen vor Augen. Aber die Robots in dem Theaterstück werden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Und wie während der Versklavung wird auch heute in Bezug auf technologische Entwicklungen über (die Grenzen der) Menschlichkeit diskutiert. Chude-Sokei fragt: „Wie können wir tatsächlich synthetische Körper erschaffen, ohne die Geschichte dessen zu reproduzieren, wie wir andere Körper in der Vergangenheit gewöhnlich behandelt, untersucht und eingeordnet haben?“ Und er stellt damit die menschliche Vorstellungskraft in Frage.
Menschen können sich Vieles vorstellen, aber die Gefahr besteht, dass alte Narrative einfach immer wieder reproduziert werden. Das Genre der Science-Fiction entwickelte sich beispielsweise im 19. Jahrhundert aus Kolonialnarrativen. Chude-Sokei betont, „die Science-Fiction bedingte also nicht Race und Sklaverei, sondern vielmehr ermöglichten Race und Sklaverei die Science-Fiction.“ Der Kolonialismus wurde einfach ins Weltall verlegt.
Chude-Sokei möchte seine Überlegungen zu Race und Technologie aber nicht auf den Zusammenhang zwischen Rassismus und Technologie reduzieren. So bezieht er sich auf karibische Vordenker*inne wie Edouard Glissant, Wilson Harris und Sylvia Wynter. Ihn interessiert die kulturelle Vermischung, die Kreolisierung, eine Haltung, die offen ist, für Veränderung. Oft war dies für Schwarze Communitys aufgrund ihrer Mobilität – teils erzwungen (Versklavungshandel), teils aus eigenem Antrieb (Migration) – eine notwendige Haltung. So haben sich kulturelle Formen vermischt, für die bestimmte Musikstile wie Reggae, Hip-Hop oder Techno passende Beispiele sind. Schwarze Musik hat viel mit Informationsverarbeitung und Programmierung zu tun, womit Chude-Sokei den Bogen zurück zur Technologie schlägt.
Race und Technologie von Chude-Sokei ist ein absolut lehrreiches Buch, das Lesende sicherlich einige Zeit beschäftigen wird. Ich lese es als Einladung, dass alle an den aktuellen Diskussionen über Technologie teilnehmen sollten, und schätze besonders, dass Chude-Sokei die Relevanz geisteswissenschaftlicher Perspektiven für technologische Diskurse hervorhebt.
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