Afrikanische Europäer
Mit ihrem Buch Afrikanische Europäer (übersetzt von Yasemin Dincer) füllt Olivette Otele eine Lücke, indem sie sich mit der Geschichte Schwarzer Europäer*innen vor den beiden Weltkriegen befasst. Die Historikerin schaut zurück bis ins 3. Jahrhundert, um Fragen über Identität, Staatsbürgerschaft, Resilienz und Menschenrechten nachzugehen und zu untersuchen, wie wichtig dieses Vermächtnis für den Aktivismus und die Allianzen Schwarzer Europäer*innen heutzutage ist.
Afrikanische Europäer ist ein akademisches Buch, das auf bestehender Forschung aufbaut. Otele geht nicht chronologisch vor, sondern springt durch die Zeit und an verschiedene Orte, um zu untersuchen, wie sich das Zusammenleben von Menschen in Europa gestaltet hat – sie betrachtet u.a. frühe Begegnungen im Mittelmeerraum und Trennlinien entlang religiöser Unterschiede und dann welche Auswirkungen der wissenschaftliche Rassismus, der sich mit dem Kolonialismus und Versklavungshandel herausbildete, für afrikanische Europäer*innen hatte. Deutschland/Brandenburg dient ihr als Beispiel für koloniale Amnesie. Danach beschäftigt sie sich mit Bindestrich-Identitäten und Zugehörigkeit.
Jedes der vielen Themen wird von Geschichten über historische Persönlichkeiten begleitet. Es werden zahlreiche außergewöhnliche Schwarze Europäer*innen vorgestellt, z.B. der florentinische Herzog Alessandro di Medici, der Komponist Joseph Boulogne, Chevalier de Saint-Georges, der Boxer „Battling Siki“ Amadou M’Barik Fall oder der Dichter Alexander Puschkin. Aber Otele bemüht sich auch Geschichten von weniger bekannten afrikanischen Europäer*innen zurückzuverfolgen. Im Podcast Intelligence Squared, erklärt Otele, dass sie ursprünglich ein Buch über afrikanische Frauen in Europa schreiben wollte, aber kaum Quellen über sie zu finden waren. So sind z.B. die Queen of Sheba, Sarah Baartman oder Jeanne Duval eher Randnotizen. In allen Geschichten dieser afrikanischen Europäer*innen tauchen ähnliche Elemente auf: Reisen, Begegnungen, Kämpfe um ihren Platz in der Gesellschaft und eine notwendige Widerstandsfähigkeit.
Oteles Buch ist vielschichtig und dicht, was beim Lesen durchaus fordern kann. Aber es lohnt sich, sich die Zeit zu nehmen. Besonders faszinierend fand ich den historisch akkuraten Umgang mit Begrifflichkeiten – Otele erklärt, dass Veränderungen im Sprachgebrauch auch auf sich wandelnde Positionen innerhalb der Gesellschaft verweisen. Ich empfehle Afrikanische Europäer besonders denjenigen, die meine Begeisterung für Bernardine Evaristos Geistergeschichten in Soul Tourists und Johny Pitts journalistischen Recherchen über Afropäer*innen teilen und sich nun für eine wissenschaftlich fundierte Unterfütterung interessieren.
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