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Messer Zungen Cover

Messer, Zungen

Auf experimentelle, fragmentarische Weise nähert sich Simoné Goldschmidt-Lechner in dem Roman Messer, Zungen der Geschichte einer südafrikanischen Familie, die später nach Deutschland zieht, aus der Perspektive einer Erzählerin, die einfach nur Mädchen genannt wird. In kurzen Kapiteln werden Ausschnitte aus Mädchens Erinnerungen erzählt und Momentaufnahmen aus dem Leben von Verwandten – Eltern, Tanten, Onkels, Cousins, Cousinen ohne Namen. Zwischendurch spricht ein Chor, ein unklares Wir, und es tauchen Überlegungen über Steve Biko, Frantz Fanon und andere wichtige Figuren antikolonialer Bewegungen auf. Es geht um Familie, individuelle und kollektive Traumata, Apartheid, Rassismus, sexualisierte Gewalt und vieles mehr. Klar wird, wie stark sich diskriminierende Strukturen auf die eigene Erfahrungswelt auswirken, wie oft sie unbesprochen und diffuse Gefühle bleiben, für die eine Sprache erst noch gelernt werden muss. Tatsächlich sind es gerade die Sprache und die Erzählweise, die den Roman auszeichnen. Die Erzählstimme lebt von kreativen Wortneuschöpfungen (wie Vatergeländer oder Ermutterung) und einer Mehrsprachigkeit, die für Menschen aus ehemaligen Kolonien und mit Migrationserfahrung eine Selbstverständlichkeit ist.  

Nach dem Lesen blieb bei mir ein Gefühl der Unklarheit. Ein Roman ist kein Lehrbuch und muss nicht linear erzählt werden, dennoch war mein Wunsch nach mehr Klarheit groß.  Für mich war der Roman wie ein Sammelsurium an Fundstücken und interessanten Gedankenfetzen, deren Zusammenhang ich gerne besser verstehen würde. Wie bei einer Archivrecherche hätte ich am liebsten eine Chronologie erstellt, Figuren und Ereignisse aufgelistet, mir mehr Hintergrundwissen zum historisch-politischen Kontext angeeignet und die kulturellen und literarischen Referenzen nachvollzogen. Das sagt wahrscheinlich mehr über meine europäische – eurozentrische – Ausbildung und meine Lesegewohnheiten als über das Buch. Messer, Zungen lebt von Andeutungen, die die eigene Vorstellungskraft anregen. Der Roman ist wie ein mehrdimensionales Kunstobjekt, dessen flüchtige Form schwer fassbar ist und bei dem mit viel Zeit und Ruhe immer neue Facetten erkennbar werden. In diesem Sinne handelt es sich um ein Buch, dass zum mehrmaligen Lesen einlädt.

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