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Portrait von Bisrat Negassi

„Auch Mode kann viel bewirken“: Ein Interview mit Bisrat Negassi

Bisrat Negassi ist Modedesignerin und Co-Gründerin des interkulturellen Salons M.Bassy und des Ateliers COME iN TENT in Hamburg. Sie wurde in Eritrea geboren und wuchs in Deutschland auf. Ihr Buch Ich Bin (Goldmann Verlag 2022) zeichnet ihre Lebensreise nach. Mit poco.lit. spricht sie über die Entstehungsgeschichte dieses Buches. Außerdem erklärt sie, dass sie als im Krieg geborene Eritreerin und Schwarze Person in Deutschland immer schon politisiert war und dies auch auf ihren Job als Modedesignerin überträgt.

Was hat dich motiviert Ich Bin zu schreiben? Es ist ein überaus persönliches Buch.

Ich habe schon immer Tagebuch geschrieben – das machen ja viele Leute – , aber nicht, um irgendwann mal ein Buch zu schreiben. Mir hilft das, zu reflektieren, meine Gedanken und Ideen zu verarbeiten. Ich habe Notizbücher und Tagebücher ohne Ende, aber eigentlich wollte ich, dass mein Vater ein Buch schreibt.

Mein Vater war beruflich viel unterwegs. Dadurch hatte ich als Jugendliche das Gefühl, dass ich ihn nicht richtig kennen lernen konnte. Als ich dann als erwachsene Person meinem Vater als Rentner gegenüberstand, hatten wir sehr schöne Gespräche und ich habe ihn von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Viele Geschichten hätte ich gerne festgehalten. Ich habe ihn ermutigt, ein Buch zu schreiben, und er wollte es auch irgendwann machen, aber dann wurde er krank und ist von uns gegangen.

Danach habe ich angefangen, mit dem Gedanken zu spielen, selbst etwas zu schreiben, aber ich habe es nie zu Ende gedacht. Irgendwann flatterte dann ein Angebot vom Goldmann Verlag ins Haus, weil sie ein Interview mit mir im Femtastics Magazin gelesen hatten.

Ich hatte noch nie ein Buch geschrieben und habe wirklich lange überlegt, aber Freund:innen und Familienmitglieder haben mir zugeredet. Dann stand die Option im Raum, dass ich einen Ghostwriter bekommen könnte. Aber ich dachte mir: Wenn schon, dann schreibe ich selbst.

Dein Buch ist politisch. Es drückt die Sehnsucht nach einer gerechteren Gesellschaft aus und oft beschreibst du, wie du dich verhältst, um einen Beitrag dafür zu leisten. Würdest du dich als politischen Menschen bezeichnen? Und warum denkst du, dass du dich politisiert hast?

Eine Zeit lang habe ich versucht, mich aus der Politik rauszuhalten. Aber das ist ja Quatsch. Ich bin der Überzeugung, dass du, wenn du als Schwarze Person auf die Welt kommst, per se schon politisiert bist. Ob du willst oder nicht. Meine Meinung ist eine politische Meinung, weil ich Schwarz bin. Als Schwarze Frau in der Diaspora, erlebe ich tagtäglich Ungerechtigkeiten. Deshalb halte ich es für wichtig, meinen Standpunkt zu äußern und für meine Meinung und Rechte einzustehen.

Danke. Darf ich da noch mal nachhaken? Macht es für dich diesbezüglich einen Unterschied, in deinem Geburtsland Eritrea zu sein, das mehrheitlich Schwarz ist, oder in Deutschland, einem mehrheitlich weißen Land?

Ich bin in Eritrea im Krieg geboren. Ich kannte ein Leben im Frieden gar nicht. Das hat mich natürlich politisiert. Aber anders als in Deutschland. Eritrea war ein unterdrücktes Land. Erst musste es etliche Jahre des Kolonialismus hinter sich bringen und wurde dann von der äthiopischen Militärregierung unterdrückt. Von dort nach Deutschland zu kommen, änderte die Art der Kämpfe, die ich führen musste. In Deutschland musste ich als Person Stellung nehmen und für mich einstehen. In Eritrea ging es um die Unterdrückung einer ganzen Gesellschaft, in Deutschland um Rassismus.

Du sprichst in deinem Buch an vielen Stellen über Rassismuserfahrungen in Deutschland. Du erzählst über deine Wut und deinen Mut, für dich und andere einzustehen. Wie schaffst du es, so konstruktiv zu bleiben? Zumindest verstehe ich deine Haltung so.

Wenn das so rüberkommt, ist das super. Egal womit ich konfrontiert werde, versuche ich immer, das Licht am anderen Ende des Tunnels zu sehen. Ich möchte der Person, die versucht, mich klein zu machen, nicht gönnen, dass ich aufgebe. Ich möchte meine Power behalten, meine Positivität. Vielleicht ist das auch ein Selbstschutzmechanismus. Ich versuche mir immer vorzustellen, wie ich im Anschluss an eine schwierige Situation mit anderen, z.B. meinen Schwestern, darüber lache. 

Es ist interessant, dass dir in solchen Situationen andere Menschen so wichtig sind. In deinem Buch schreibst du häufig von Begegnungsräumen, z.B. von Treffen der eritreischen Diaspora aus ganz Europa oder dem interkulturellen Salon M.Bassy in Hamburg. Was macht diese Orte für dich so wichtig?

Ganz einfach: Es geht ums Teilen. Wenn ich etwas Schönes erlebe, möchte ich das mit anderen teilen. Dann hält der Moment länger und man kann ihn später wieder abrufen. Nichts anderes passiert bei M.Bassy. Momente zu teilen, ist das größte!

Das klingt schön! Lass uns jetzt mal zur Mode kommen. Bei deiner Berufswahl, bzw. bei deiner Studienwahl – so erzählst du es in deinem Buch – hat dich die Frage getrieben, ob du mit dem, was du machst, etwas Nützliches für Eritrea tust. Wie stehst du jetzt zu dieser Frage?

Als ich noch auf der Suche nach meiner Berufung war, tobte in Eritrea der Krieg. Ich wollte Eritrea etwas zurückgeben. Ich wollte etwas dazu beitragen, dass es dem Land besser geht. Nach 30 Jahren Krieg war alles zerstört. Mein erster Gedanke war, Kinderärztin oder Zahnärztin zu werden. Aber nach zwei Wochen Praktikum wusste ich, dass ich das nicht konnte. Ich kann kein Blut sehen, keine offenen Wunden, Menschen, die leiden. Ich wär‘ gar keine Unterstützung gewesen. Dann dachte ich an Architektur.  Das war aber auch nichts für mich.

Irgendwann habe ich erkannt, dass ich nur, wenn ich meiner Berufung nachgehe, positiv auf alles um mich herum einwirken kann. So akzeptierte ich, dass ich erst mal mich selbst finden muss.

Mittlerweile habe ich verstanden, dass Modedesign meine Berufung ist – wobei, Schreiben habe ich jetzt auch zu lieben gelernt. Ich habe Mode immer als etwas oberflächliches gesehen. Das ist es aber eigentlich gar nicht. Jede:r von uns überlegt sich morgens: Was ziehe ich heute an? Wie zeige ich mich? Welche Geschichte erzähle ich? Jede:r ist ein wandelndes Buch, wenn man so möchte. Entweder zeigt man sich offen oder man hält sich bedeckt, möchte sich schützen, nichts erzählen. Mode ist ein Schutzraum, mit dem Menschen durch die Weltgeschichte wandern und ihre Geschichten erzählen. Das ist nicht oberflächlich.

Inzwischen denke ich, dass man mit Mode vieles bewirken kann. Es ist ein Instrument, das eine Stimme sein kann für nicht gehörte Stimmen.

Spannend! Kannst du noch etwas genauer erklären, wie du das meinst?

Als ich in Paris gewohnt und mit der Mode angefangen habe, habe ich öfter gutgemeinte Ratschläge bekommen, z.B. „Wenn du deine Mode zeigst, denk nicht immer an Schwarze Frauen. Die Kundschaft ist hier weiß.“ Auch bei der Präsentation, in Print oder bei Shows, wurde mir gesagt, ich sollte nicht nur mit Schwarze Models arbeiten. Das waren ernsthafte Ratschläge. In dem Moment wurde mir noch klarer, wie rassistisch alles um mich herum ist. Ich habe mich gefragt, ob diese Leute nicht sehen, dass ich eine Schwarze Frau bin.

Helmut Lang hat damals soweit ich mich erinner nie Schwarze Models auf den Laufsteg geschickt. Niemand würde zu ihm sagen, „schick nicht nur Brünette auf den Laufsteg, sondern auch Blondinen.“ Ich war natürlich nicht Helmut Lang. Aber diese Ratschläge waren grenzüberschreitend und rassistisch.

Ich habe damals gemerkt, dass ich auch mit Mode politisch aktiv arbeiten kann, indem ich Schwarze Models für meine Shows caste. Erst dann, wenn das kein Thema mehr ist, kann ich frei Castings machen.

Mir wurde auch gesagt, dass ich nur „afrikanische Mode“ machen sollte, weil meine Mode ja nicht afrikanisch sei. Aber was ist „afrikanische Mode“ überhaupt? Habe ich als Designerin nicht die Freiheit, einfach Mode zu machen? Jean-Paul Gaultier würde man auch nicht sagen, er soll französische Mode entwerfen.

Insofern kann Mode auch eine wichtige Stimme sein.

Mittlerweile hast du noch eine ganze Reihe anderer kreativer Projekte, oder?

Ich arbeite an einem weiteren Buch und natürlich an einer neuen Kollektion. Neben M.Bassy leite ich mit meiner Kollegin zusammen das feministische Projekt COME iN TENT, bei dem Stimmen aus verschiedenen Ländern Afrikas zusammenkommen um prekoloniale/ koloniale und postkoloniale Geschichten über Gegenstände, aus Museumsarchiven neu zu erzählen.

Du klingst viel beschäftigt! Ich danke dir für das Gespräch!

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