Autor*in trifft Übersetzer*in mit Mithu Sanyal und Alta L. Price
Am 20. September 2023 fand unsere Veranstaltung „Autor*in trifft Übersetzer*in“ mit Mithu Sanyal und Alta L. Price statt. Gemeinsam haben wir über Identität gesprochen, über die unterschiedlichen Diskurse im Englischen und Deutschen und welche Rolle das für das Übersetzen spielt und die Schwierigkeit Humor zu schreiben und zu übersetzen.
Dr. Mithu M. Sanyal ist Schriftstellerin, Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, unter anderem für Deutschlandfunk, Spiegel, Bundeszentrale für politische Bildung und The Guardian. Sie veröffentlichte die Sachbücher »Vulva« (Wagenbach) und »Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens« (Nautilus), das mit dem Preis »Geisteswissenschaften international« ausgezeichnet wurde. Ihr Debütroman »Identitti« erschien 2022 im Hanser Verlag. Er wurde mit dem Ernst Bloch Preis und dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet und stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Alta L. Price ist Übersetzerin und betreibt eine Verlagsberatung, die sich auf Literatur und Sachtexte zu Kunst, Architektur, Design und Kultur spezialisiert hat. Sie übersetzt aus dem Deutschen und Italienischen ins Englische und wurde mit dem Gutekunst-Preis ausgezeichnet. Altas Übersetzung von Juli Zehs Roman New Year war Finalist für den PEN America Translation Prize sowie den Helen & Kurt Wolff Prize.
Könnt ihr etwas zu eurem Verhältnis, zu den Themen, die in „Identitti“ behandelt werden, sagen und wie diese Beziehung eure Arbeitsweise beeinflusst hat?
Mithu Sanyal: Mir ist immer gesagt worden, es sei ein autobiografischer Roman. Die Hauptfigur hat ein Elternteil, das aus Indien kommt und einen Elternteil, deren Familie aus Polen kommt, wie ich auch. Ansonsten teile ich relativ wenig mit der Figur von Nivedita. Ich bin doppelt so alt. Ich bin eher in Saraswatis Alter. Ich musste richtig viel zum Bloggen recherchieren. Es war ein rechercheaufwendiger Roman. Aber ich wollte über Menschen aus „meiner Community“ schreiben. Diese Community ist eine imaginierte – es gibt sie nicht. Mir war es wichtig, über Mixed-Race Menschen zu schreiben, über das Aufwachsen in Deutschland als Mixed-Race Person, weil es kein Buch im Deutschen gab, das sich explizit damit auseinandergesetzt hat. Im Englischen gibt es „The Buddha of Suburbia“ von Hanif Kureishi. Das ist der erste Roman mit einem Mixed-Race Protagonisten. Das ist 1990 erschienen, was auch noch nicht so richtig lange her ist. Vorher gab es Leute wie uns immer nur als Abweichung, als human stain, als etwas, was so instabil war, dass es früher oder später zerbrechen und kaputtgehen muss. Bis zum Ende des Buches haben wir uns dann aus der Geschichte selbst herausgezogen, indem wir gestorben sind, Selbstmord begangen haben oder verrückt geworden sind. Das waren die Plotlinien für Mixed-Race People bis zu diesem Zeitpunkt. Als ich „Identitti“ geschrieben habe, habe ich dann natürlich gemerkt, dass das totaler Quatsch ist. Es gibt total viele, auch in der deutschsprachigen Literatur, aber sie werden unsichtbar gemacht. Thomas Mann ist ein Mixed-Race Mensch [seine Mutter war brasilianischer Herkunft] und trotzdem denkt bei Thomas Mann jetzt jeder an den deutschesten aller weißen deutschen Autoren. Seine Mutter war Brasilianerin. Für ihn war das ein zentrales Thema. Also insofern gibt es eine große Nähe zu den Themen. Das sind alles Herzensangelegenheiten für mich – interessanterweise das Thema Mixed-Race viel mehr als das zweite Thema, das immer verhandelt wird in dem Roman. Nämlich: Ist Passing in Ordnung? Cultural Appropriation. Diese Themen waren für mich ganz wichtig als Katalysator, Niveditas Geschichte zu erzählen, dafür brauchte ich Saraswati, die Professorin, die vorgegeben hat, eine Inderin zu sein. Aber die Frage, die mir immer gestellt wurde: „Jetzt bist du die Expertin, sag uns, darf man das?“ Das ist tatsächlich nicht die Frage, die ich beantworten wollte, als ich das Buch geschrieben habe.
Alta L. Price: Also mein Verhältnis ist einfach, dass es ein ganz tolles Buch ist. Ich lese viel, aber ich habe nie einen Roman auf Englisch gesehen, der einen spannenden Plot hat und auch die sozialen Medien und alle diese Stimme miteinbezieht. Als Amerikanerin habe ich Deutsch studiert und viele Amerikaner*innen haben mich gefragt, warum studierst du die Sprache der Nazis? Es gibt so viele Stereotypen – immer noch. Ich fand es toll, wenn ich Personen außerhalb meines Freundeskreises erzählt habe, dass ich gerade ein Buch übersetze, das von Rasse, Sex und Mixed-Race Personen in Deutschland handelt. ,
Es hat viel Spaß gemacht, aber es war wirklich eine Herausforderung dieses Buch zu übersetzen. Und persönlich muss ich auch sagen, dass es um Mixed-Race Leute in Deutschland geht, das Buch aber in Düsseldorf spielt. Nicht in Berlin, nicht in München, nicht in Hamburg. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen und auch wenn Düsseldorf-Oberbilk kein Dorf ist, gibt es Unterschiede zu großen Städten. Die wichtigste Sache in diesem Buch ist, dass wir mehr über alles reden müssen.
MS: Finde ich total toll, dass du den Ort erwähnst, denn es gab zwei Gründe für mich. Ich wollte definitiv keinen Berlin-Roman schreiben. Nicht, weil ich etwas gegen Berlin habe, sondern weil ich immer das Gefühl habe, Berlin ist so wie der Rest von Deutschland in der Zukunft. Die sind schon so viel weiter und wir hinken hinterher und haben auch viel kleinere Bubbles. Das wollte ich abbilden, aber auch dieses Gefühl von „wir sind nicht so cool“, „wir sind nicht so toll wie Berlin“ und trotzdem leben hier Menschen und haben dieselben Probleme und müssen sich mit denselben Dingen auseinandersetzen. Der Ort spielt eine ganz wichtige Rolle in dem Roman. Nivedita hat sich immer überlegt: Warum geht sie nicht nach Berlin? Weil alle sie fragen, geht sie nach Berlin oder nach London oder wohin auch immer? Und sie hat das Gefühl, dass sie wurzellos ist. Wenn sie jetzt noch weggeht, wird sie vielleicht komplett weggeweht. Das ist auch ein Teil der Reise von ihr im Roman, dass sie am Ende des Romans mehr über sich weiß, mehr Wurzeln hat und das Gefühl, jetzt könnte sie irgendwo anders hingehen. Am Ende des Romans überlegt sie sich, ob sie nach Oxford gehen soll. Keine Ahnung, ob sie es tun wird, aber das ist auch egal, denn sie könnte es inzwischen als die Person, die sie geworden ist. Ich glaube, dieses Fehlen vom Beginnen neuer Dinge, das ist mit eins der vielen Traumata von Rassismus oder Klassismus etc. Es müssen viel höhere Hürden überwinden werden.
Du deutest schon an, worauf ich auch eingehen möchte. „Identitti“ behandelt sehr komplexe Themen und Begrifflichkeiten. Außerdem sind die Postcolonial Studies in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch eher unbekannt. Die Charaktere des Romans nutzen den Fachjargon aber sehr intensiv. Gleichzeitig schafft der Roman dadurch aber auch ein Bewusstsein dafür, was für einen elitären Charakter Fachdiskurse haben können. Wie bist du beim Schreiben damit umgegangen? Was hast du vorausgesetzt, was die Lesenden schon wissen?
MS: Ich habe versucht, das Buch so zu schreiben, dass es immer unsichtbare Erklärungsstufen gibt. In einem der ersten Kapitel geht Nivedita in eine Radiosendung und ihr werden genau solche Fragen gestellt. Was heißt denn überhaupt POC? Wer ist das überhaupt? Und die Antworten darauf sind keine Erklärungen, sondern: POC-Leute sind Leute, die gefragt werden, wo sie herkommen. Interessanterweise, was ich nicht mitbedacht habe, ist, dass ganz viele Leute Twitter nicht kennen. Twitter spielt eine riesige Rolle in „Identitti“. Ich habe sehr viele Lesungen gemacht, auch bei Leseclubs und dann sitzen da Leute und sagen: „Ich habe kein Twitter, ich habe die Tweets nicht verstanden.“ Da bin ich überhaupt nicht draufgekommen. Weniger als 2% aller Deutschen sind auf Twitter. Es ist kein Spiegel der Gesellschaft.
Was den Fachjargon angeht, ist es auch so, dass die Studierenden ihn überhaupt nicht verstehen. Also sie verstehen schon vieles davon, aber eben nicht alles. Das ist nicht nur schlecht, weil viele Worte, auch wenn man nicht die komplette Definition davon hat, etwas mit uns machen. Viele dieser Worte wie Signify oder Imagined Communities sind Begriffe, in die jeder was hineininterpretiert und phantasiert. Ich denke, dass wir tatsächlich so mit Wissen umgehen oder so Sprachen lernen. Wir hören einen neuen Begriff und gucken nicht erst mal im Lexikon die Bedeutung nach.
Alta, Diskurse über Rassismus und andere Formen von Diskriminierung sind in Deutschland und auch in den USA sehr präsent, aber dennoch werden die Diskurse zum Teil sehr unterschiedlich geführt. Es scheint immer so, als wäre die USA schon so ein paar Schritte weiter, als es in Deutschland der Fall ist. Welche Rolle hat das beim Übersetzen gespielt? Inwieweit musstest du dich in den deutschen Diskurs reinfinden und wo musstest du da beim Übersetzen ganz besonders vorsichtig sein?
AP: Ich muss immer vorsichtig sein. Ich glaube, dass alle Übersetzer*innen das sein müssen, weil die Sprache einfach eine andere ist. In gewisser Weise war das eine große Herausforderung, vor allem, weil Saraswati im Roman immer wieder darauf hinweist, dass den Deutschen die Sprache fehlt, um diese Themen zu diskutieren. Sie macht ihre Studierenden darauf aufmerksam, dass sie aus dem amerikanischen Englisch importierte Terminologie verwenden. Letztendlich konnte ich in manchen Situationen nicht viel tun. Wie bei Pritti, bei der Cousine von Nivedita. In ihrem Fall war es nicht möglich die Sprache zu ersetzen oder umzudrehen. Am Anfang spricht sie mehr auf Englisch als auf Deutsch und dann lernt sie immer mehr Deutsch. Zu meinem Glück war das Buch so gutgeschrieben, dass die Handlung ohne großes Zutun meinerseits trotzdem zusammenhielt. Es ging wirklich nur darum, das Geschriebene zu respektieren. Ich bin froh, dass Mithu so viel recherchiert hat. Das habe ich auch. Zum Beispiel Oury Jalloh. Ich habe diesen Namen schonmal gehört, aber ich kannte nicht die ganze Geschichte. Natürlich habe ich von dem Terroranschlag in Hanau gehört, der eine große Rolle im Roman spielt. Ich wollte und musste mehr darüber wissen. Ich musste auch mit der Idee übersetzen, dass die englischsprachigen Leser*innen Deutschland kaum kennen, vielleicht haben sie eine gewisse Vorstellung von den Ereignissen, aber wissen nicht genau, worum es geht.
MS: Ich würde gerne einhaken, denn ich finde, du hast total viel gemacht. Du bist mir nicht einfach nur gefolgt. Die englische Übersetzung ist in bestimmten Punkten besser als die deutsche Version. Ich liebe auch das Deutsche, aber die englische Übersetzung ist so viel cooler. Wir hatten am Anfang drüber gesprochen. Ich glaube es war, nachdem du das erste Kapitel übersetzt hattest, dass ich gesagt habe, ich war sehr beeindruckt. Ich hatte verschiedene Probe-Übersetzungen des ersten Kapitels vorliegen und deine war mit Abstand die beste. Aus vielen Gründen, aber einer der Gründe war, dass du viel freier übersetzt hast, als die anderen und es dadurch viel näher am Original war. Nivedita ist eine coole junge Frau, die mit diesem coolen Jargon redet, und das hast du unglaublich toll transportiert. Wenn man eins zu eins übersetzt, wenn man zu nah am Original bleibt, verliert es das. Das habe ich dabei gelernt.
AP: Danke, danke! ich muss sagen, dass mir nicht immer klar ist, was ich mache, wenn ich arbeite. Zum Beispiel mit dem ersten Kapitel, als ich das Buch gelesen habe, konnte ich Niveditas Stimme hören – auch ohne Hörbuch. Dann habe ich die Hörbücher gehört. Zum Beispiel habe ich das Wort herstory genutzt, einfach weil ich dachte: „Ja, natürlich würde Nivedita herstory statt history sagen.“ Auch wenn es keinen etymologischen Grund dafür gibt.
MS: Genau, Nivedita ist ja ganz sprachspielig und viele der Sprachspiele kannst du nicht eins zu eins übersetzen. Da wo man es nicht übersetzen konnte, hast du andere gefunden. Das heißt, es hat nicht an Leichtigkeit verloren. Das war mir ganz, ganz wichtig. Es geht um wirklich schwere Themen. Es geht um Identität und um viel Schmerz. Aber dass dieser Schmerz sich nicht in eine schweren Sprache übersetzt, sondern dass die Sprache diese Leichtigkeit hat. Und die Charaktere gucken auch immer wieder auf sich selbst und denken: „Echt jetzt?“ Nivedita stellt sich selbst durchgehend in Frage. Du hast es geschafft, diesen Witz mitzuübersetzen. Ich finde tatsächlich Humor zu übersetzen unglaublich schwierig. Humorvoll zu schreiben ist schon echt schwierig. Aber Humor zu übersetzen ist nochmal eine andere Sache.
Was mich zu meiner nächsten Frage führt: Wie ist dir die Gratwanderung gelungen zwischen Humor und Ernsthaftigkeit? Welche Rolle spielt deiner Meinung nach die eigene Positionierung für die erzielte Wirkung?
MS: Die zweite Frage weiß ich gar nicht, ob ich sie beantworten kann. Das ist eine total spannende Frage. Ich gucke und höre viel britische Comedy. Da habe ich das erste Mal eine Sprache für Race gefunden, also als Thema, das sich nicht nur Rassismus bezieht, sondern Race überhaupt. Das war in „Goodness, Gracious Me“, das ist eine britische Comedy, die es erst im Radio gab, dann im Fernsehen. Die Charaktere heißen British Asian, was so verwirrend für mich ist, weil Asians sind in Deutschland Japaner*innen oder Chines*innen, aber in der Sendung werden damit Inder*innen, Pakastanis oder Bengaldeshis gemeint. Allein der Begriff Asia, der ja eindeutig einen Kontinent beschreibt, meint was völlig anderes. Da merkt man schon, wie schwierig Übersetzen ist. Das war das allererste Mal, dass es die Möglichkeit gab, zusammen darüber zu reden, in einer Form auch darüber zu lachen, ohne das Thema dadurch weniger ernst zu nehmen, sondern ganz im Gegenteil, dem Thema mehr Raum zu geben. Mein großes Vorbild ist Meera Syal. Sie hat „Anita and Me“ und „Life isn’t all Ha Ha Hee Hee“ geschrieben. Die beiden Romane waren ein absolutes Vorbild für „Identitti“. Sie ist auch Teil des „Goodness, Gracious Me“ Teams gewesen. Ich hatte viele Szenen als Dialoge geschrieben und musste diese zu vierdimensionalen Szenen machen, so dass man sich die Figuren vorstellen und sie ironisch verorten konnte. Ich hatte vieles eher als Radio Comedy geschrieben. Im Humor gibt es den Unterschied, sich über jemanden lustig zu machen oder mit jemandem zu lachen. Den Humor, den ich suche, ist einer, der alle Menschen einlädt, sich in ein Boot zu setzen und zu sagen: „Lass uns gemeinsam über dieses merkwürdige Thema Rassismus lachen. Das macht ja überhaupt keinen Sinn.“ Und nicht einen Humor: „Wer muss sich jetzt schämen und über wen lachen wir.“ Nivedita ist genauso wenig frei von Rassismen. Sie ist mit demselben rassistischen Wissen aufgewachsen wie wir alle. Sie ist an bestimmten Punkten mehr davon betroffen als andere, aber sie wird genauso anderen Figuren auch nicht gerecht. Daher war es mir schon wichtig, dass es die Möglichkeit gibt, im gemeinsamen Lachen auch gemeinsam weiterzugehen.
Alta, hat sich die humorvolle Note des Buches leicht ins Englische übertragen lassen?
AP: Die einfachste Antwort ist ein Beispiel: Pritti, die Cousine von Nivedita und das Wort „pretty“. Dieses Wortspiel war schon da, es war alles schon vorhanden. Eine Übersetzung passiert nie Wort für Wort. Also dieses eine Wort verwandelt sich in dieses andere Wort. Es ist die Stimme, die Geschichte, die Persönlichkeit. Aber es ist nicht leicht, das zu übersetzen. Und es ist auch nicht leicht, zu erklären. Es tut mir ganz leid. Ich würde gerne sagen können: „Das hier ist mein Geheimnis.“
MS: Du hast mir ganz viel erzählt. Also wie du dir überlegt hast, wer welchen Soziolekt spricht. Dir war zum Beispiel ganz klar, dass Pritti ein Millenial spricht. Das waren für mich so Aha-Momente, weil ich das nicht so klar hatte. Viel des Humors steckt in den Dialogen, in der Art wie die Figuren aufeinander antworten. Ich habe die meisten Dialoge auf Englisch geschrieben, dann habe ich sie ins Deutsche übersetzt, dann habe ich die Originale weggeschmissen, was ziemlich blöd war. Dann hast du es übersetzt und es ist anders als das, was ich ursprünglich geschrieben habe. Das, was ich geschrieben habe, ist wie ein BBC-Kostümdrama, auch wie die Dialoge funktionieren. Was du geschrieben hast, ist viel mehr in der Gegenwart verwurzelt.
AP: Aber es ist klar, dass es anders klingt. Ich bin aus Nordamerika. Ich kann kein britisches Englisch. Ich liebe britischen Humor, aber es ist fast eine andere Sprache.
MS: Ja, und gerade im Humor ist es eine total andere Sprache. Das ist total interessant.
Ihr habt es schon kurz angesprochen. Mithu, mir ist aufgefallen, dass du oft etwas verwendest, was in der Linguistik als Code-Switching bezeichnet wird, gerade für Niveditas Cousine Pritti. Am Anfang redet sie noch mehr Englisch als Deutsch. Dann verwenden die Studierenden immer den Fachjargon, der nun mal in Englisch ist. Warum hast du dich bei Pritti dafür entschieden, das so abzubilden, wie sich ihr Englisch bzw. ihr Deutsch verändert?
MS: Das ist ganz spannend, weil ich glaube, Pritti ist Teil der Sehnsucht von Nivedita nach Zweisprachigkeit. Nivedita kann ja nicht Bengali, die Sprache ihres Vaters. Mit neun oder zehn besucht sie Pritti das allererste Mal in Birmingham, fühlt sich zum ersten Mal heimisch, unter anderem auch dadurch, dass Birmingham wie eine Art Ersatz-Indien ist. In dem Teil von Birmingham, wo die Familie wohnt, wohnen viele indische Familien. Es ist aber auch eine andere Sprache, die sie fast nicht sprechen kann. Und deshalb hat sie auch immer dieses dringende Bedürfnis, dass Pritti ihr sagt: „Ja, du bist echt“.
Die Zweisprachigkeit durchzieht das ganze Buch. Die ganzen Theorien sind auf Englisch. Viele der Zitate am Anfang sind auf Englisch. Das hat auch viel mit der Verortung zu tun, wo Nivedita versucht Wissen zu bekommen. Das Wissen ist nur in England. Die ganze Literatur über das, was man im weitesten Sinne postmigrantisch in der Literatur nennt. Nivedita ist nicht migriert, sondern in Deutschland geboren, aber sie wird als migrantisch markiert wahrgenommen. Was das für Biografien bedeutet, da gibt es im Englischsprachigen etwas, das heißt sie schaut immer nach England. Die Literatur, die sie liest, liest sie wahrscheinlich im Original, aber die Literatur gibt es in Deutschland als Übersetzung, was neue Probleme aufmacht. Übersetzungen sind unglaublich wichtig. Als ich den Roman vor 25 Jahren angefangen habe zu schreiben, da ging es nur um Nivedita und Pritti und ihr Verhältnis zueinander. Damals waren die beiden noch Freundinnen und keine Cousinen. Verlage sagten mir ganz offen: „Wir haben schon eine indische Autorin. Danke, wir brauchen nicht noch eine.“ Sie meinten Arundathi Roy. Ähnlich mit Toni Morrison. Das sind Übersetzungen und wir brauchen beides. Wir brauchen Bücher, die sich auch mit den deutschen Begebenheiten auseinandersetzen, damit, wie die Welt hier in Deutschland geordnet ist. Wir brauchen Übersetzungen. Wie ist es woanders? Es gibt etwas Universelles an Literatur, an das wir uns alle anbinden können. Aber tatsächlich, dieser Aspekt des Übersetzens ist einer, der durchgehend da drin ist.
Alta, ich habe dein Nachwort gelesen, das ich unglaublich spannend fand. Du beschreibst die Arbeit an dem Roman. Was ich besonders interessant fand, dass du ursprünglich englische Texte, die Mithu für den Roman ins Deutsche übersetzt hat, nicht immer im Original verwendet hast, sondern doch noch mal anders übersetzt hast oder andere Worte gewählt hast, damit sie besser in den Kontext des Buchs passen. Warum hast du das gemacht? Und kannst du uns vielleicht ein Beispiel nennen?
AP: Genau, zum Beispiel das Buch „Black Skin, White Masks”. Ich wusste das Frantz Fanon auf Französisch geschrieben hat und ich dachte, das wäre ideal für die englischsprachigen Leser*innen von „Identitti“. Im deutschen Original werden so viele Sprachen verwendet, deshalb wollte ich nicht alles auf Englisch schreiben. Ich wusste von „Black Skin, White Masks“, dass es auf Französisch „Peau Noire, Masques Blancs“ heißt. Das war ganz einfach. Ich dachte: „Natürlich muss ich Französisch nutzen“. Mit Enid Blyton und den anderen Büchern, die von Nivedita erwähnt werden, war es anders. Am Anfang habe ich gedacht, ich weiß, dass Nivedita diese Bücher auf Deutsch liest. Vielleicht sollte ich in meiner Übersetzung die Übersetzer*innen erwähnen, Aber das wäre zu didaktisch und zu akademisch gewesen. Es war nicht gut genug. Ich habe sehr viel Recherche betrieben und sie letztendlich nicht genutzt. Das passiert oft in Übersetzungen. Es gibt zwei Übersetzungen von „Peau Noire, Masques Blancs“. Es ist 1952 auf Französisch erschienen und die erste englische Übersetzung war von Charles Markman 1967. Aber ich persönlich habe die Übersetzung von Richard F. K. gelesen, die 2008 erschienen ist.
Ein anderes Beispiel. Hier ist ein Zitat aus der deutschen Version: „wie Gussy, der verweichlichte südländische Prinz, der in Der Zirkus der Abenteuer von den mutigen Enid Blyton Kindern gerettet werden musste“. Er heißt nicht Gussy in der englischen Version, also habe ich es so übersetzt: „like Gustavus, the sissy prince from some ostensibly eastern land, whom the plucky British kids had to save in The Circus of Adventure.”
MS: Ja, und das ist total interessant. Ich habe ein Essay über Enid Blyton geschrieben und die Politik, wie Namen übersetzt worden sind, ist irre. Warum lasst ihr nicht die Namen? Dinge, die eindeutig woanders verortet sind. Im Deutschen sind dann auch die Städte umbenannt worden, dass sie sich nach deutschen Städten anhören. Und es passt nichts daran, nichts funktioniert, weil sich alles komplett falsch anfühlt. Das Schlimmste ist, sie haben das Dezimalsystem angepasst. Es ist so schrecklich. Keiner hat ein Problem damit, dass sie ganz lange das Duodezimalsystem für Geld hatten. Damit wird das Übersetzen, zu einer Art von Kolonialisieren. Wir machen das zum Eigenen. Das ist Teil der neuen Auseinandersetzungen mit Übersetzen. Wie können wir genau das vermeiden? Wie können wir, indem wir übersetzen, ein Fenster aufmachen. Übersetzen ist ja immer verwandeln. To translate ist nicht das Wort übersetzen. Bei Shakespeare heißt es „he was translate it“, das heißt er ist in einen Esel verwandelt worden. Also jemand hat wirklich eine neue Form bekommen.
Alta, schreibst du für deine Übersetzungen häufig Nachworte? Wann und warum sind Nachworte wichtig?
AP: Nicht immer. Manchmal gibt es keine Zeit, aber hier in diesem Fall war es mir wichtig. Nachworte sind nützlich, weil sie mir die Möglichkeit geben meinen Standpunkt oder meine Arbeitsweise zu erklären. Für den amerikanischen Verlag war es mir klar, dass er nicht verklagt werden wollte. Die haben einfach gesagt: Es gibt diesen Namen Jordan Peterson im Text. Was machen wir? Sollen wir das rausnehmen? Und ich habe gesagt, wir können das nicht rausnehmen, aber ich musste in meinem Nachwort sagen: In dem Buch ist alles Fantasie.
Der europäische Verlag ließ mich mehr Spaß haben in meinem Nachwort und erlaubte mir, den Roman selbst nachzuahmen, um zu erkunden, was die Übersetzung bewirken kann. Es ist ein so lustiges und nachdenkliches Buch, dass es ein lustiges und nachdenkliches Nachwort verdient. Ich wollte unbedingt den englischsprachigen Leser*innen zeigen: hier ist ungefähr, was Mithu auf Deutsch macht, aber ich mache es jetzt auf Englisch und ich ahme es nach. Ich schreibe auch Fake Tweets und so weiter. Ich glaube, es war wichtig. Nicht nur für die Rechtsanwältin, aber auch auf einem philosophischen Niveau. Es ist wichtig, dass es ein Nachwort ist und kein Vorwort. Die Leser*innen können es einfach überspringen, wenn sie es nicht lesen wollen. Ich will, dass man den Roman liest und dann vielleicht ein bisschen mehr darüber nachdenkt und dann kann man das Nachwort lesen.