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Was steht im Vorwort? Über Anmerkungen zur Übersetzung

Was steht im Vorwort? Über Anmerkungen zur Übersetzung

Übersetzer:innen treffen Entscheidungen, die einen enormen Einfluss darauf haben, wie Texte in anderen sprachlichen Kontexten ankommen – also jenseits der Sprache, in der sie geschrieben wurden. Gerade in literarischen Übersetzungen sind viele dieser Entscheidungen mit ästhetischen Überlegungen und Stilfragen verbunden. Es sind aber auch vielschichtige Entscheidungen mit politischen Untertönen, was nicht zuletzt unser Projekt macht.sprache. verdeutlicht. Anmerkungen zur Übersetzung bieten Übersetzer:innen die Möglichkeit, ihre Gedankengänge hinter Übersetzungsentscheidungen mit Leser:innen zu teilen. Solche Anmerkungen können wahrscheinlich als Luxus verstanden werden: Es geht um Platz im Buch, der nicht immer gewährt wird, es geht um Zeit, von der selten genug da ist, es geht um eine prominente Positionierung der Gedanken von Übersetzer:innen, die nicht immer als „wichtig“ genug empfunden werden. Vielleicht zögern Verlage sogar deshalb, Anmerkungen zur Übersetzung zum Standard zu machen, weil sie keine Aufmerksamkeit auf die Tatsachen lenken wollen, dass Leser:innen auf diese Weise ein ganz bestimmter Zugang zum Text vermittelt wird.

Tatsächlich können Anmerkungen zur Übersetzung eine unglaublich bereichernde Kontextualisierung für die betreffenden Werke liefern. Sie ermöglichen es den Übersetzer:innen nicht nur, die Entscheidungen, die sie bei der Übersetzung des Textes getroffen haben, zu erklären, sondern auch, diese innerhalb gesellschaftspolitscher Debatten zu positionieren. Indem sie die Schwierigkeiten zur Sprache bringen, mit denen sie sich während des Übersetzens befassen mussten, können sie dazu beitragen, dass ihre Leser:innen die sensiblen Themen, um die es geht, besser verstehen. Im Vorwort, das Mirjam Nuenning und Sharon Dodua Otoo für die 2016 bei w_orten & meer erschienene deutsche Neuübersetzung von Octavia Butlers Roman Kindred geschrieben haben, benennen sie beispielsweise eine Reihe komplexer Fragen, die ihren Überlegungen zur Übersetzung eines der wohl einflussreichsten Werke der afroamerikanischen Literatur zugrunde lagen.

Nuenning und Otoo erörtern die Herausforderung, die der Umgang mit Begriffen zur Beschreibung Schwarzer Menschen darstellt – insbesondere in Bezug auf verletzende und diskriminierende Sprache. Richtig schwierig wird es, wenn diese Begriffe zentral für einen historischen Text sind, der gelebte Rassismuserfahrungen repräsentiert, dessen Inhalte aber völlig unangemessen für heutige Diskurse sind. Daher plädieren sie in ihrem Vorwort für positioniertes Schreiben, positioniertes Übersetzen und positioniertes Lesen. Sie schlagen also vor, die die Positionalität aller mitzudenken, die an diesen komplexen Interaktionen mit einem Text beteiligt sind. Dazu gehört auch, die jeweiligen Kontexte von Schreibenden, Übersetzenden und Lesenden im Auge zu behalten. Nuenning und Otoo beschreiben mit welchen Methoden sie an die Übersetzung herangegangen sind: Diskussionen innerhalb des Verlags, die teilweise bis heute ungelöste Meinungsverschiedenheiten mit sich brachten, sowie Gespräche mit einer Vielzahl von Personen, um von ihren Perspektiven zu lernen. So basieren sie ihre Entscheidungen auf kollektivem Wissen und nicht auf Einseitigkeit. Auch wenn das Buch mittlerweile gedruckt ist, stellen sie ihre Arbeit als fortlaufend dar, als Teil einer Diskussion, die weitergeführt werden muss.

In der neusten deutschen Übersetzung von Stuart Halls Buch Familiar Stranger, die 2020 im Argument Verlag erschienen ist, verorten die Herausgeber:innen Natasha Khakpour, Jan Niggemann, Ingo Pohn-Lauggas, Nora Räthzel und Victor Rego Diaz ihre Entscheidungen in Bezug auf die Übersetzung von Sprache mit Bezug auf Race ebenfalls als Teil aktueller Diskussionen. In diesem Fall nutzen sie ihr Vorwort, um Fragen der Übersetzung als Bestandteile einer notwendigen, umfassenderen kritischen Reflexion zu formulieren und dazu aufzurufen, die entsprechenden Diskurse und möglichen Ansätze, z. B. für eine geschlechtergerechte Sprache, weiterzuentwickeln. Bereitwillig übernehmen sie damit die Aufgabe, ihre Leser:innenschaft mit den Diskussionen um politisch sensible Sprache vertraut zu machen. Dazu gehört auch, dass sie begründen, warum z.B. „farbig“ keine angemessene Übersetzung für „of Colour“ ist und warum das englische Wort „racial“ in der Übersetzung ins Deutsche einer weiteren Qualifizierung bedarf – in einigen Fällen entscheiden sie sich für „rassistisch“, in anderen für „rassisiert“.

Anmerkungen zur Übersetzung können außerdem typografische Entscheidungen im Text für Leser:innen aufschlüsseln, was sowohl Nuenning und Otoo als auch die Herausgeber:innen des Stuart Hall Buchs für sich nutzen. Beide Gruppen treffen spezifische Entscheidungen über Kursivierung, Großschreibung und Geschlechtsmarkierungen – die Gründe dafür erläutern sie in ihren Vorwörtern. Die Anmerkungen von Nuenning und Otoo fungieren darüber hinaus sogar als Anleitung dafür, wie der Roman unterrichtet werden kann. Nach reiflicher Überlegung haben sie sich für die Beibehaltung der ursprünglichen Verwendung des N-Wortes entschieden: Sie schlagen vor, Leser:innen darauf vorzubereiten und vorab den Hinweis zu geben, dass dieses Wort auf dieser bestimmten Seite nicht laut ausgesprochen werden sollte. Nuennings und Otoos Text fungiert also als Anleitung und dient zusätzlich zur Sensibilisierung.

Kurz gesagt: Anmerkungen zur Übersetzung sind sehr lesenswert. Es lohnt sich, mehr über die Überlegungen zu erfahren, die in die Übersetzungsentscheidungen eingeflossen sind, vor allem, wenn es sich um politisch sensible Sprache handelt.

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