Schwarze Deutsche Geschichte: August Sabac el Cher, Silberverwalter im Prinz-Albrecht-Palais in Berlin
Im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen, insbesondere in Großbritannien oder Frankreich, ist die afrikanische Diaspora in Berlin relativ klein. 2013 schätzten Joachim Zeller und Oumar Diallo in ihrem Buch Black Berlin: die deutsche Metropole und ihre afrikanische Diaspora in Geschichte und Gegenwart die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen afrikanischer Herkunft insgesamt auf etwa 400 000 bis 800 000 – das entspricht der Bewohner*innenzahl einer einzigen deutschen Großstadt. Die Schwarze Deutsche Geschichte reicht zwar einige hundert Jahre zurück, doch ist sie oft nur schwer rekonstruierbar und die Lebensgeschichten einzelner Personen – wie etwa die von August Sabac el Cher, dem Silberverwalter im Prinz-Albrecht-Palais – bleiben lückenhaft.
Nur durch Zufall erfuhr ich über die Lebensgeschichte von August Sabac el Cher. Vor Jahren fiel mir im Museumsshop des Deutschen Historischen Museums in Berlin das Buch Preußisches Liebesglück: Eine deutsche Familie aus Afrika von Gorch Pieken und Cornelia Kruse auf. Auf dem Umschlag war das Gesicht eines Schwarzen Mannes und einer weißen Frau zu sehen. Der kurze Text auf dem Buchrücken erklärte mir, dass es sich um die Geschichte eines afrikanischen Bediensteten am preußischen Hof handelte und um seine Nachfahren. Ich kaufte das Buch kurzerhand, mit dessen Hilfe und weiteren Recherchen ich Einblicke in einen Teil deutscher Geschichte bekam, über den ich ohne aktives Zutun nie viel erfahren hatte.
Die Lektüre eröffnete mir, dass das Buchcover Gustav Sabac el Cher und seine Frau zeigte. Aber im Folgenden soll es um seinen Vater, August Sabac el Cher, gehen, der 1843 aus Ägypten nach Berlin kam und mit dem die Geschichte dieser sogenannten deutschen Familie aus Afrika begann. Sie sehen das einzige Foto, das es von ihm gibt, auf der rechten Seite, in Piekens und Kruses Buch mit der Beschriftung „August Albrecht Sabac el Cher in exotischem Kostüm“ und auf Wikipedia, wo er als „Kammerdiener in orientalischer Tracht“ beschrieben wird.
Pieken und Kruse erklären, dass August Sabac el Cher im Jahr 1843 zusammen mit Prinz Albrecht nach Preußen kam, also mit dem jüngsten Bruder des damaligen preußischen Königs. Freiwillig war seine Migrationsgeschichte sicher nicht, denn Sabac el Cher war ein Junge von ca. 7 Jahren und wurde Prinz Albrecht als Leibeigener gegeben. Prinz Albrecht befand sich auf einer Ägyptenreise und der ägyptische Herrscher, Mehmed Ali, machte dem Prinzen Albrecht scheinbar einen Schwarzen Jungen aus dem südlichen Ägypten (dem heutigen Sudan) zum „Geschenk“. Zu der Zeit wurde in Ägypten noch Versklavungshandel betrieben und in Europa hatten viele afrikanische Bedienstete an ihren Höfen. Deshalb war es nicht ungewöhnlich, ein menschliches „Geschenk“ zu bekommen und es anzunehmen, ohne sich über die Menschlichkeit und die Wünsche des neuen Dieners Gedanken zu machen. Darüber hinaus gaben die Mächtigen ihren neuen Bediensteten oder Leibeigenen häufig neue Namen. So erhielt Sabac el Cher seinen Namen von Prinz Albrecht. Wie er vorher hieß ist unbekannt.
In Berlin zog Sabac el Cher im Albrecht-Palais in die Dachkammer zu anderen Hausangestellten. Er erhielt Deutsch- und christlichen Religionsunterricht. Mit den Jahren übernahm er verschiedene Jobs im prinzlichen Haushalt. Mit 15 Jahren wurde Sabac el Cher Lakai und musste als solcher putzen und Tische decken. Als erwachsener Mann heiratete Sabac el Cher die weiße Anna Maria Jung, sie bekamen zwei Kinder und ihre Lebensumstände erscheinen durchaus zufriedenstellend: Sabac el Cher wurde im Jahr 1873 zum Silberverwalter des Prinz-Albrecht-Palais. Damit erhielt er ein für die Zeit beachtliches Jahreseinkommen von 600 Mark.
Tatsächlich ist es unklar, wie es Sabac el Cher im Detail erging. Gesetzlich galt er nicht als Sklave, die Versklavung war in Deutschland zu seiner Zeit bereits verboten, doch wirklich frei war er auch nicht. In seinen Jahren als Kammerdiener musste Sabac el Cher beispielsweise – wie auf dem einzigen Foto von ihm – orientalische Fantasie-Trachten tragen. Die adeligen Herren bestimmten in der Regel über die Unterbringung der Schwarzen Kammerdiener, ihre Kleidung, ihre Ausbildung und ihren Beruf. Es war diesen Kammerdienern nicht erlaubt zu kündigen oder selbst zu entscheiden, wo und wie sie leben wollten.
Für Sabac el Cher änderte sich die Situation erst gegen Ende seines Lebens. 1873 zog er endlich in eine eigene Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Kurz vor seinem Lebensende, nach jahrelanger Krankheit – vermutlich Darmkrebs -, erhielt Sabac el Cher im Jahr 1882 eine Naturalisierungsurkunde des Berliner Polizeipräsidenten. Damit galten er und seine Kinder rechtlich als preußische Bürger*innen und waren zumindest auf dem Papier gleich wie alle anderen Preuß*innen. 1885 erlag Sabac el Cher seiner Krankheit.
Über Sabac el Cher gibt es das Buch von Pieken und Kruse, einen Wikipedia Eintrag und sein Sohn Gustav ist nicht nur auf dem Buchcover zu sehen, sondern auch auf einem Bild im Deutschen Historischen Museum. Außer ihnen haben viele weitere Schwarze Personen in Deutschland gelebt. Einige können im Hintergrund von Gemälden in preußischen Schlössern gesehen werden, doch viele von ihnen bleiben namenlos und un-erinnert.
Dass die Schwarze Deutsche Community eher klein ist, kann unter anderem an den relativ kurzlebigen und weniger expansiven Kolonialbestrebungen der Deutschen im Vergleich zu ihren englischen und französischen Pendants liegen. Aber die vergleichsweise kleine Zahl sagt nichts über die Länge der Geschichte aus und bedeutet auch nicht, dass sie weniger Wert ist, erinnert zu werden. Tatsächlich beginnt die Schwarze deutsche Geschichte schon lange vor Sabac el Chers Lebzeit mit dem ersten Kontakt zwischen Deutschen und Afrikaner*innen, also mit den frühsten Jahren des Kolonialismus. Im Jahr 1683 gründete der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm einen Handelsposten an der Küste des heutigen Ghana. Doch schon 1717 verkaufte sein Nachfahre Friedrich Wilhelm I. Großfriedrichsburg an die Niederlande. Nach diesen Ereignissen wandte Preußen für mehr als ein Jahrhundert den Blick von Afrika ab. Die bekannteren kolonialen Bemühungen Deutschlands begannen mit dem so genannten European Scramble for Africa (Wettlauf um Afrika) unter dem Kanzler Otto von Bismarck. Deutschland besaß mehrere afrikanische Kolonien vom Jahr der Afrikakonferenz in Berlin 1884 bis 1919, als der Versailler Vertrag Deutschland zum Verzicht auf die Souveränität über seine ehemaligen Kolonien verpflichtete.
Von Anfang an war es Teil des Kolonialismus, dass weiße deutsche Führungspersonen und Entdecker Afrikaner*innen entmenschlichten; sie verkauften afrikanische Menschen beispielsweise in die Amerikas oder brachten sie zwangsweise zurück nach Deutschland, als wären sie Waren wie Elfenbein, Gold und Pfeffer. Preußische Adelige nahmen Afrikaner*innen in den Dienst an ihren Höfen und verlangten gezielt von ihren Marineoffizieren, dass sie Afrikaner*innen von ihren Reisen mitbringen sollten. Es kamen aber weitaus weniger Afrikaner*innen nach Europa, als in die Amerikas. Die Anwesenheit der wenigen, meist männlichen Afrikaner an den europäischen Höfen sollte zeigen, wie weit gereist und weltgewandt die Adeligen waren. Die Perspektiven, Interessen und Wünsche der Afrikaner*innen, die so ihrer Heimat beraubt wurden, wurden schlichtweg ignoriert.
Mit einem Blick auf die Schwarze Deutsche Geschichte, lässt sich feststellen, dass Rekonstruktionen Schwarzer Lebensrealitäten gar nicht oder nur lückenhaft möglich sind. Zudem wird in Recherchen schnell klar, dass die wenigen Quellen in der Regel ausschließlich die weiße Perspektive bieten und so über die eigene Sicht der historischen Schwarzen Persönlichkeiten nur gemutmaßt werden kann. August Sabac el Cher ist ein gutes Beispiel dafür. Umso wichtiger sind literarische Interventionen, wie die von SchwarzRund im Roman Biskaya. In dem Buch taucht ein Mann namens Achmed auf. Sein Charakter basiert auf der Geschichte eines Schwarzen Hofbediensteten, der bei Prinz Carl von Preußen angestellt war. Die Protagonistin von Biskaya ist eine Nachfahrin von Achmed und schreibt einen Liedtext über ihn, in dem Achmed frei entscheiden kann, wo und wie er leben will. Die Fiktion hilft nun Achmed würdevoll zu erinnern. Kunst kann Lücken füllen oder sie zumindest auf wirkungsvolle Art und Weise sichtbar machen.