(Post-)Koloniales Englisch: Über die Sprache von afrikanischer Literatur
Unser Übersetzungsprojekt macht.sprache. nehmen wir zum Anlass, einmal mehr über die Beziehungen zwischen verschiedenen Sprachen nachzudenken und welche Rolle Macht dabei spielt. Da poco.lit. einen postkolonialen Schwerpunkt hat, kommen uns unweigerlich Fragen zu Sprache innerhalb postkolonialer Kontexte in den Sinn. Debatten über Sprache spielten in der postkolonialen Literatur und in den Postcolonial Studies von Anfang an eine bedeutende Rolle. Es geht um Fragen, die sowohl in der kolonialen als auch in der postkolonialen Geschichte prägend sind.
Die Debatte über Kolonialsprachen als Medium für Schriftsteller*innen aus (ehemals) kolonisierte Ländern war schon früh eine der zentralen Formen, wie über Sprache im postkolonialen Raum diskutiert wurde. Auf dem afrikanischen Kontinent gelten Chinua Achebe und Ngũgĩ wa Thiong‘o als berühmteste Vertreter ganz gegensätzlicher Seiten in dieser Diskussion. Vereinfacht könnte man ihre Positionen so beschreiben, dass Achebe sich für die englische Sprache als Mittel für die Verbreitung afrikanischer Literatur aussprach und Ngũgĩ dagegen – bis zu dem Punkt, dass er sich entschied, nicht mehr auf Englisch zu schreiben, sondern in seiner Muttersprache Gikuyu. Wie so oft in Debatten, die von Entweder-Oder-Positionen strukturiert sind, ist nicht so sehr die Festlegung auf eine der beiden Seiten interessant, sondern die Ideen und Argumente, die im Verlauf der Diskussion aufgeworfen werden.
Oft wird die Entstehungsgeschichte dieser Diskussion bis zu einer Konferenz zurückverfolgt, die 1962 an der Makerere-Universität in Uganda stattfand. Der Titel der Konferenz lautete “A Conference of African Writers of English Expression” und er zog natürlich wegen des impliziten Ausschlusses von Schriftsteller*innen, die andere Sprachen verwendeten, Kritik auf sich. Viele Schwergewichte des heutigen postkolonialen Kanons waren anwesend, darunter sowohl Achebe als auch Ngũgĩ – letzterer ein Student mit einem Manuskript in der Hand, von dem er sich erhoffte, dass der bereits sehr angesehene Achebe es lesen würde. Beide Schriftsteller zitierten später diese Konferenz, als sie ihre Positionen zur Sprachenfrage schriftlich formulierten.
Achebes Standpunkt ist geprägt von einer pragmatischen Einschätzung des Status quo: Afrikanische Schriftsteller*innen schreiben auf Englisch und leisten auf diese Weise wichtige Arbeit. In seinem Artikel „English and the African Writer“ von 1965 drückte er es so aus: „Wenn er [der Kolonialismus] es nicht schaffte, ihnen ein Lied zu geben, so gab er ihnen wenigstens eine Zunge zum Seufzen.“ Nach Achebes Ansicht war das Englische zu einer wichtigen Lingua franca für Völker aus verschiedenen Teilen des afrikanischen Kontinents geworden, die sich sonst vielleicht nur mühsam über eine Vielzahl von Muttersprachen hätten verständigen können. Es’kia Mphahlele wies sogar darauf hin, wie nützlich dies für antikoloniale Kämpfe sein könnte, da Englisch als gemeinsames Medium für den Aufbau von Allianzen zwischen Gruppen mit unterschiedlichen Muttersprachen dienen könnte.
Nach einer kurzen Abwägung der Frage, ob afrikanische Schriftsteller*innen überhaupt gut genug auf Englisch schreiben könnten – was Achebe natürlich bejaht, obwohl die Tatsache, dass er die Frage überhaupt anspricht, einen Hinweis darauf gibt, was zu der Zeit wohl die gängigere Meinung war – spricht Achebe die relevantere Frage an, ob sie es sollten. Obwohl er einräumt, dass das Englische mit dem Kolonialismus und seiner Gewalt nach Afrika kam, sieht er die Sprache dennoch als sein Erbe an – ein Erbe, das er seinen eigenen Bedürfnissen entsprechend formen kann. Achebe fragt: „Ist es richtig, dass ein Mann seine Muttersprache für die eines anderen aufgibt? Es sieht wie ein schrecklicher Verrat aus und erzeugt Schuldgefühle.“ Interessanterweise wird auch Ngũgĩs Entscheidung, nicht mehr auf Englisch zu schreiben, oft mit dem Begriff der „Aufgabe“ umschrieben – als ob die Sprache den Verlust irgendwie spüren würde. Offensichtlich fühlt Achebe eine Art Verpflichtung gegenüber seiner Muttersprache. Aber er kommt zu dem Schluss, dass die englische Sprache geformt und verändert werden kann und wird, um den Bedürfnissen der afrikanischen Schriftsteller*innen, die sie benutzen, zu entsprechen.
Während Achebe darauf hinweist, dass Englisch in den aufstrebenden, unabhängigen Nationalstaaten Afrikas eine nationale Währung ist, stellt sich natürlich auch die Frage nach realem Geld und der generellen Sichtbarkeit. Ein Gedanke, der vielen angehenden Schriftsteller*innen auf dem afrikanischen Kontinent durch den Kopf geht, ist die Frage, wie sie ihre Arbeit veröffentlichen, vermarkten und verkaufen können – und das wird wohl oder übel eher auf Englisch geschehen. Englischsprachige Texte erreichen mit größerer Wahrscheinlichkeit ein breiteres Publikum, damals wie heute.
Sich für eine Sprache zu entscheiden bedeutet also auch, zumindest anfangs, ein bestimmtes Publikum auszuwählen. Das ist einer der Punkte, die Ngũgĩ in seinem einflussreichen Buch Dekolonisierung des Denkens thematisiert, das 1986 erschien (und 2017 in der deutschen Übersetzung von Thomas Brückner). Er spricht an, welche Bedeutung die englische Sprache hatte, als er in Kenia aufwuchs und als er in britisch-kolonialen Institutionen ausgebildet wurde. Die Makerere University selbst, an der er Englisch studierte, war ein Übersee-College der University of London. Ngũgĩ merkt an, dass sowohl die englische Sprache, als auch die Fähigkeit gut Englisch zu sprechen, mit Prestige und Privilegien verbunden waren. Englisch stand für Aufwärtsmobilität und Zugang zur Elite. Für Ngũgĩ bedeutet die Entscheidung, weiterhin in dieser Sprache zu schreiben, diese Strukturen zu einem gewissen Grad aufrechtzuerhalten. Auf Englisch zu schreiben, heißt implizit, die Billigung und Legitimation des (kolonialen) britischen Kanons zu suchen; es bedeutet, dieser Literatur (und dem Kulturimperialismus, der sie für erstrebenswert erklärt) zu huldigen, und es stellt eine fortwährende Unterwerfung dar. Die Entscheidung, auf Englisch zu schreiben, beinhaltet die Entscheidung, für diejenigen zu schreiben, die auf Englisch lesen können und wollen.
Englisch als Sprache zu wählen, bedeutete für Ngũgĩ auch die Kolonialsprache auf Kosten der indigenen Sprachen zu bereichern. Anstatt ihre eigenen Kulturen und Sprachen durch Werke dieser linguistischen Welten zu bereichern, liefen afrikanische Schriftsteller*innen, die auf Englisch arbeiteten, Gefahr, mit einer aus dem Kolonialismus nur allzu bekannten extraktivistischen Logik an ihre indigenen Sprachen heranzugehen und in ihnen nach Material zu schürfen, das letztlich die Literatur in englischer Sprache besser machen würde.
Ngũgĩs überzeugendste Argumente ergeben sich für mich aus seiner Betonung der Kolonisierung des Denkens, welche ein integraler Bestandteil des kolonialen Projekts war. Er leitet her, dass Sprache ein grundlegender Bestandteil der Unterwerfungsstrategie war. Ngũgĩ schreibt: „Auf die Nacht des Schwertes und der Kugel folgt der Morgen der Kreide und der Tafel.“ Ein Kind, das zu Hause eine Sprache und in der Schule eine andere, koloniale Sprache spricht, muss mit einer integralen inneren Teilung leben, da ihm beigebracht wird, dass eine der beiden Sprachen wertvoll und der Weg zum Aufstieg ist, während die andere klein gemacht wird. Entscheidend ist, dass diese Sprache den kolonisierten Menschen ihre eigene Alterität lehrt; ihnen wird beigebracht, sich in und durch diese Sprache als „Other“ – als Andere – zu begreifen.
Darüber hinaus ist die Sprache für Ngũgĩ ein Auffangbecken des kollektiven Gedächtnisses, sie sammelt in sich die Geschichte eines Volkes. Als solche muss sie gehegt und gepflegt werden. Vielleicht versteht er es aus diesem Grund als eine Pflicht der afrikanischen Schriftsteller*innen, in ihren Muttersprachen zu schreiben, und findet schließlich, dass afrikanische Literatur in afrikanischen Sprachen geschrieben werden muss.
Sicherlich haben sich diese Debatten in den Jahrzehnten, die vergangen sind, seit Ngũgĩ und Achebe ihre Argumente austauschten, weiterentwickelt. Aber es scheint wichtig zu sein, ein grundlegendes Verständnis für die verschiedenen Aspekte der Geschichte der Kolonialsprachen zu haben und für das politische Gewicht, das sie immer noch in sich tragen, wenn wir uns heute mit politisch sensibler Sprache befassen.