
Politische Begriffe und (un)gerechte Gesellschaftsstrukturen: Ein Interview mit den Produzent:innen von „erklär mir mal…“
Im Rahmen unseres Projekts macht.sprache. sprechen wir mit verschiedenen Expert:innen, die sich mit Sprache, Übersetzung oder künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Maja Bogojević und Victoria Jeffries sind die Produzent:innen des Instagram-Kanals „erklär mir mal…“. Gemeinsam mit 14 weiteren Leuten erklären sie Begriffe und Konzepte aus (post-)migrantischer und queerer Perspektive auf eine zugängliche(re) Art und Weise. Ihr Ziel: Zugangsbarrieren sowie Wissenshierarchien aufbrechen und sprachliche Grundlagen für politische Veränderungen schaffen.
Was hat euch motiviert „erklär mir mal…“ ins Leben zu rufen?
Maja: In politischen Diskussionen haben wir als Personen aus nicht-akademischen Familien, selber oft die Erfahrung gemacht, dass Mitmachen ein bestimmtes Vokabular voraussetzt. Das finden wir problematisch und klassistisch. “erklär mir mal…” bündelt dieses Wissen, dass in den verschiedenen Communities bereits existiert – also basierend auf unseren eigenen Erfahrungen oder durch Weiterbildungen, beim Lesen oder miteinander Sprechen gelernt haben –, um ein digitales Glossar für Begriffe zu schaffen. Bei uns kommen viele verschiedene Expertisen und Interessen zusammen. Wir verstehen uns als (post-)migrantisch und als queer und haben unterschiedliche Hintergründe in Bezug auf Aktivismus, Wissenschaft oder Care-Arbeit.
Uns ist immer wichtig, anzuerkennen, dass wir diese Arbeit nur machen können, weil Andere uns den Weg geebnet haben. Wir denken hier an Migrant*innenselbstorganisationen wie ADEFRA, Gladt oder den Migrationsrat in Berlin.
Zugängliches Wissen: Ein Glossar für politische Begriffe auf Instagram
Wen wollt ihr mit euren Inhalten erreichen? Und was erhofft ihr euch von eurer Arbeit?
Vicky: Wir denken bei der Zielgruppe unserer Arbeit auch an Leute wie uns. Also ich denke z.B. an mein 16-jähriges Ich, weil ich als vereinzelte Schwarze Person in Bayern aufgewachsen bin. Ich habe Mechanismen wahrgenommen, die anders auf mich wirken als auf andere, aber ich konnte sie nicht benennen und nicht wirklich greifen. Durch mein Studium konnte ich mir Wissen über Konzepte und Begriffe aneignen, die wir auf „erklär mir mal…“ thematisieren. Aber was ist mit den Leuten, die nicht studieren oder sich politisch engagieren können, und trotzdem in einer ähnlichen Realität wie meiner leben? Unsere Follower:innen sind Leute, die anfangen sich zu politisieren oder die ihr Verständnis von politischen Begriffen schärfen wollen. Aber unser Kanal ist letztendlich offen für alle, die Interesse und Respekt mitbringen – also sowohl für Betroffene, als auch Verbündete.
Durch „erklär mir mal…“ merken wir, dass Leuten hier in Deutschland in vielen Fällen einfach der Zugang zu bestimmten Wissen fehlt. Dass „erklär mir mal…“ so schnell so viele Follower:innen bekommen hat, zeigt, dass Leute Lust auf das Wissen haben, das wir aufbereiten. Sie haben Interesse an unseren Expertisen und Perspektiven.
Ich stell es mir schwierig vor, komplexe Konzepte und Begriffe auf zugängliche Art und Weise zu erklären.
Vicky: Ja! “erklär mir mal… “ ist work in progress. Wir bilden nicht nur die Community, sondern auch uns alle weiter. Wir haben von Anfang an viel ausprobiert und die Community um Feedback gebeten. In der ersten Staffel war zum Beispiel eine Rückmeldung, dass die Videos zu lang sind. Jetzt achten wir darauf, so präzise und knackig wie möglich zu sein. Außerdem lesen wir die Inhalte nochmal gemeinsam. Wenn alle aus dem Team ihre Expertise in die Texte einfließen lassen, bearbeiten wir Themen viel intersektionaler.
Maja: Wir bezeichnen “erklär mir mal …” immer als ein Versuch. Wir haben uns bewusst für Deutsch entschieden, weil wir im deutschsprachigen Raum leben und lernen und dementsprechend den deutschen Kontext mitgestalten und wiedergeben wollen.
Herausforderungen in der politischen Arbeit mit Sprache
Im Deutschen werden oft englische Begriffe für einen politisch sensiblen Ausdruck verwendet – auf eurem Kanal besprecht ihr beispielsweise Coming Out, Othering, Safe Space und Empowerment. Warum werden eurer Meinung nach häufig englische Begriffe verwendet und welche Folgen hat ihrer Verwendung? Sind euch schon mal passende, kreative, deutsche Alternativbegriffe begegnet?
Maja: Viele der politischen Diskurse kommen aus dem englischsprachigen Raum. Das Phänomen Othering wird z.B. in den USA schon länger thematisiert, in Deutschland fangen wir gerade erst an darüber zu sprechen. Im Deutschen wird dafür der Ausdruck „jemanden andern“ verwendet, aber dieser Ausdruck ist noch viel unbekannter als othering. Deshalb haben die Themenwoche zwar manchmal einen englischen Titel, aber alles drumherum ist auf Deutsch. Trotzdem erkennen wir an, dass auch Sprachkenntnisse eine Barriere darstellen.
Vicky: Wir bilden den bestehenden Diskurs ab und schaffen nicht selbst den Diskurs. Deshalb arbeiten wir mit den bestehenden Begriffen, die es schon gibt. Wenn ihr deutsche Begriffe kennt, meldet euch gerne, dann nehmen wir sie im Glossar auf. Aber wir haben nicht die Deutungshoheit in diesen Diskursen. Nur weil es keinen guten deutschen Begriff für Bi_POC gibt, denken wir uns jetzt nichts Eigenes aus. Dazu fühlen wir uns nicht berechtigt.
Was sind die Herausforderungen in eurer Arbeit mit politischen Begriffen und Konzepten?
Maja: Die Inhalte sind weniger das Problem, sondern die problematischen Strukturen dahinter. Eine weitere Herausforderung ist der Instagram-Algorithmus. Instagram will erreichen, dass Nutzer:innen möglichst lange auf der Plattform bleiben, sodass Accounts, die mehr posten, vom Algorithmus belohnt werden. Gleichzeitig passiert es, dass politische Inhalte nicht so viel Reichweite erzielen, wie Strandbilder von normschönen Personen. Auch innerhalb von politischen Themen gibt es ein Gefälle: Feministische Themen bekommen mehr Reichweite als Beiträge über rassistische Morde.
Außerdem können wir Hate Speech auf Instagram nicht kontrollieren. Wir haben schon Erfahrungen mit rechten Shitstorms gemacht.
Vicky: Auch deswegen haben eine Netiquette für unseren Kanal entwickelt. Wir sehen uns mit einem Dilemma konfrontiert: Zum einen wollen wir eine Lernplattform sein, zum anderen möchten wir Menschen, die diese -ismen erfahren, über die wir sprechen, in unseren Kommentarspalten schützen können. Und wir möchten auch uns selbst schützen. Zuallererst ist „erklär mir mal…“ ein Kanal von uns für uns. Wir wünschen unsere Kommentarspalten wären ein Safer Space, aber das funktioniert nicht. Wir blockieren Leute, die sich diskriminierend äußern. Aber manchmal ist es schwierig für uns, die Kommentare richtig zu verstehen und einzuordnen, ob eine Frage gestellt wird, um Interesse am Lernen auszudrücken oder einfach um zu provozieren.
Strukturen müssen verändert werden
Was würde eure Arbeit erleichtern?
Vicky: Ich wünsche mir strukturelle und finanzielle Sicherheit für uns, damit wir unsere Arbeit nachhaltig machen können. Unsere Energie und unsere Zeit, die wir in das Projekt investieren, sollten uns die nötige finanzielle Sicherheit garantieren. Und ein Büro zu haben, wär‘ toll! Ein Ort, an dem wir uns mit dem Team treffen und austauschen können.
Maja: Wir wünschen uns beidseitige Fehler-Freundlichkeit, d.h. wir möchten normalisieren, dass Menschen als Lernende verstanden werden. Das ist besonders wichtig, weil politische Diskurse widersprüchlich und komplex sind.
Wenn bestimmte politische Begriffe und Konzepte im deutschen Mainstream angekommen sind, wird die Gesellschaft dann besser und gerechter?
Maja: Wir sagen ganz klar: Nein. Ein Verständnis von politischen Begriffen und Konzepten ist eine notwendige Basis, aber nicht ausreichend für eine politische Praxis. Auch wenn Individuen gendern, heißt das nicht, dass sie die Belange von nicht-binären Personen mitdenken, oder dass sie Geschlechtergerechtigkeit in die Praxis tragen. Gendern und Feminismus zu leben korreliert nicht unbedingt miteinander. Es ist aber ein Anfang.
Vicky: Wir möchten dazu beitragen, dass diskriminierende Alltagsstrukturen klar benannt werden können, sonst können wir nämlich gar nicht über sie sprechen. Es ist keine Lösung, einfach nur neue Begriffe zu etablieren. Wir brauchen strukturelle Veränderungen.