Palast der Miserablen
Anfang 2020 veröffentlichte der deutsch-irakische Autor Abbas Khider seinen fünften Roman unter dem Titel „Palast der Miserablen“. Die Geschichte spielt im Irak zur Zeit des diktatorischen Regimes von Saddam Hussein. Der junge Protagonist Shams erlebt von Kindesbeinen an die direkten Auswirkungen der politischen und militärischen Auseinandersetzungen seines Heimatlandes. Während Saddam Husseins Regierungszeit führte das Land Krieg gegen den Iran und Kuweit, wurde zwei Mal von den USA besetzt und befand sich zwischendurch in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand. Shams durchlebt genau diese Zeit.
Shams ist der Erzähler der Geschichte. Sein Bericht über seine Kindheit in einem kleinen Dorf im Süden des Iraks und seine Jugend in einem Slum – dem so genannten Blechviertel – von Bagdad wechselt sich ab mit einem zweiten Bericht über seine Gefangenschaft. Der Roman bleibt spannend, da beim Lesen relativ lange unklar ist, wie Shams ins Gefängnis kam. Er scheint doch ein ganz normaler Junge mit ganz normalen Träumen zu sein. Shams besucht die Schule und arbeitet nebenher als Plastiktütenverkäufer, als Busfahrergehilfe, als Träger auf dem Markt, als Gehilfe in einem Fotoladen und später als Buchhändler. Sein Ziel ist es, seine Eltern finanziell zu unterstützen und mit einer guten Bildung einer besseren Zukunft näher zu kommen. Doch gerade sein letzter Job als Buchhändler wird dem selbst eifrig lesenden Protagonisten zum Verhängnis. Unter Saddam Husseins Regime sind Worte gefährlich – wer was Unerwünschtes sagt oder liest, kann durchaus mit dem Leben dafür bezahlen. Der Titel des Romans ist der Name eines Clubs von Intellektuellen und Lesebegeisterten in Bagdad, in den Shams hineinrutscht. Der Palast der Miserablen ist deshalb so miserable, weil das diktatorische Regime kein kritisches Denken erlaubt.
Das Buch ist schnell gelesen und durch die ständigen Schicksalsschläge, die Shams und seiner Familie wiederfahren, durchaus mitreißend. Wie um die ganzen Bombenanschläge und Schwierigkeiten von Shams Familie, sich durchs Leben zu schlagen, zu kontrastieren, hält der Roman immer wieder humorvolle, auflockernde Anekdoten bereit. Z.B. wie es dazu kam, dass Shams Heimatdorf „Herzliche Hölle“ getauft wurde oder dass Bala Bush auf Arabisch passenderweise ein Fluch ist, genauso wie die Invasion des ersten US-Präsidenten Bush ein Fluch für den Irak war.
Die Erzählperspektive ist durchweg Shams‘ Blickwinkel, was die Geschichte sehr persönlich und emotional nahbar macht. Hin und wieder ist die Sicht eines pubertierenden Jungens, der trotz einer kurzen Begegnung mit dem Feminismus sehr binär denkt, jedoch fast anstrengend. Zudem hält der berichtende Stil die Lesenden auf Distanz mit den anderen Charakteren. Shams‘ Schwester Qamer, seine Eltern, sein guter Freund Hisham und andere erscheinen wegen dieser Erzählweise wenig Tiefe zu haben. Der „Palast der Miserablen“ ist ein lesenswertes Buch über die vielen Konflikte im Irak, erwachende Sexualität, Armut und Klassenunterschiede und die Liebe zur Literatur, dennoch ist es für mich kein neues Lieblingsbuch geworden.