Kulturelle Verpackungen II: Sanskar aur Parampara (Kultur und Tradition)
Samstags war einer der indischsten Tage der Woche für uns. Im Fernsehen liefen indische Programme, und alle paar Wochen fuhren wir zur University Avenue in Berkeley, wo die Geschäfte und Unternehmen von Südasiat*innen einen großen Teil der langen Straße säumten. Dieser Teil der East Bay Area in Kalifornien spielte in meiner Kindheit eine wichtige Rolle und ist nach wie vor ein wichtiges Gebiet für die südasiatische Community und die lokale Wirtschaft.
Die letzte Station unserer regelmäßigen Route war eine Videothek mit unzähligen VHS-Kassetten und DVDs auf den Metalldrahtregale an den Wänden. Meine Mutter wandte sich direkt an den Besitzer, um Empfehlungen einzuholen, und er zog dann sogleich ein paar Plastikhüllen aus den beiden weniger bestückten Regalen. Ich habe keine Ahnung, ob er sich sofort jeden neuen Film ansah, aber dieser Mann, den ich immer nur „Onkel“ nannte, hatte ein enzyklopädisches Wissen über Bollywood-Filme.
Normalerweise brachten wir die Filme dann zum Haus meiner Nani (meiner Großmutter mütterlicherseits) oder zu einer Tante und einem Onkel. Die ausgeliehenen Filme zu schauen, war ein Ereignis mit erstklassigen Snacks wie gebratenem Taro mit Chiliflocken und gekochtem Maniok und würzigem Chutney zum Dippen. Dieses feierliche Gefühl von Gemeinschaft scheint genau wie der physische Filmverleih (RIP Blockbuster und DVD Netflix Service) verschwunden zu sein und selbst Streaming hat es nicht geschafft, es wiederzubeleben.
So wie die Festtagsdekoration bis zum nächsten Mal weggepackt wurde und unser Puja-Geschirr für ausschließlich vegetarische Gerichte in Kartons lebte, bis es wieder gebraucht wurde, enthielt jede Plastikhülle aus der Videothek eine kurze Reise in ein anderes Universum. Das Leben war intensiver, übertriebener, die Farben leuchtender, die Musik süßer.
Aber die Fäden, die uns immer noch mit diesem Universum verbinden, sind bestimmte Werte, die sich auf Familie, Religion, Kultur, usw. beziehen. In dem Film Shree 420 heißt es in einem Lied: Mera joota hai Japani, Yeh patloon Englishtani, Sar pe laal topi Roosi, Phir bhi dil hai Hindustani – Meine Schuhe sind japanisch, meine Hose ist englisch, der rote Hut auf meinem Kopf ist russisch, aber mein Herz ist indisch. Wenn wir uns den historischen Kontext dieses Liedes anschauen, kann es auf mehrere Arten interpretiert werden, aber mit der Zeit sind diese Zeilen zu etwas geworden, das nicht nur Menschen mit indischen Wurzeln eint, die sich mit einem bestimmten Land identifizieren.
Deshalb zögere ich, mich mit Menschen, die nicht diese Erfahrung teilen, über Bollywood auszutauschen. Irgendwie klingen die unterschiedlichen Gedankengänge eines Körpers dann eher nach Heuchelei als nach einem inneren Konflikt. Ich kann mir Bollywood-Filme allein oder mit meiner Familie und meinen Freund*innen anschauen und über den Nationalismus, die Betonung patriarchalischer Werte, die gleichzeitig passierende Übersexualisierung und Unterdrückung von Frauen schimpfen – ernsthaft, wie kann etwas so tugendhaft daherkommen und dabei nur so vor unerfüllter Geilheit brodeln?
Aber wenn ich mir einen Film mit jemandem anschaue, der diese Erfahrungen nicht teilt, lässt mich jeder Lacher oder das Bedürfnis kundzutun, was unlogisch ist oder was nicht mit den eigenen Werten zusammenpasst, unwillkürlich ein wenig zusammenzucken. Wenn ich jemanden über Dinge lachen höre, die eigentlich ernst oder emotional sein sollen, beginnen meine Schultern vor Scham zu zucken. Ich hasse die Vorstellung, dass Filme, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich liebe, als Lachnummer behandelt werden könnten.
Von außen betrachtet, ist der kulturelle Einfluss von Bollywood nicht immer offensichtlich. In den späten 1980er und frühen 90er Jahren begann Bollywood, die Anziehungskraft von Filmen für NRI (Non-resident Indians) und PIO (People of Indian Origin) zu erkennen und darauf zu reagieren. Gleichzeitig erlebte Indien in diesen Jahrzehnten ein rasantes industrielles Wachstum, das zu diesem kulturellen Wandel im Kino beitrug. In der Regel werden in Filmen Geschichten über wohlhabende Familien erzählt, die die materiellen Vorteile des westlichen Kapitalismus genießen, aber im Kern hegemoniale „indische“ Werte beibehalten.
Sozialer Aufstieg bedeutet, dass man über Reichtum und Status verfügt, die es den Kindern ermöglichen, eine westliche Ausbildung zu erhalten, und das ist immer noch üblich. In Kabhi Khushi Kabhi Gham werden die Söhne Rahul und Rohan zunächst auf ein Internat geschickt, um dann in London zu studieren, bevor sie nach Indien zurückkehren und eine Person ihrer Wahl heiraten sollen. (Kleiner Spoiler: Es läuft nicht wie geplant!)
Manchmal gibt es eine leichte Umkehrung des Trends wie in Dilwale Dulhania Le Jayenge. In diesem Film lebt die Familie in England, aber der Patriarch Baldev sehnt sich die ganze Zeit nach seiner Heimat in Indien sehnt. Erst als die Ehe seiner Tochter Simran mit dem Sohn eines Jugendfreundes besiegelt ist, können sie in den Punjab zurückkehren. Rückkehr ist hier ein belasteter Begriff, denn für die Töchter war das Konzept von Indien vorher hauptsächlich im Haus ihrer Eltern zu finden.
Bei aller kulturellen Vielfalt innerhalb Indiens und zwischen den indischen Kulturen im Ausland ist es Bollywood bemerkenswert gut gelungen, das internationale Publikum davon zu überzeugen, dass diese Werte eine ganze „Nation“ im „Inland“ und „Ausland“ repräsentieren. Problematisch? Auf jeden Fall. Vor allem angesichts des anhaltenden Aufstiegs des Hindu-Nationalismus in der indischen Politik und der alarmierenden Unterstützung dieses gefährlichen Narrativs durch Bollywood, was nicht etwa auf Selbstgefälligkeit beruht. Aber es ist unbestreitbar, dass Bollywood eine kulturelle Leere gefüllt hat und weiterhin füllen wird, die viele Menschen indischer Herkunft spüren.
Die widersprüchlichen, oft geradezu unlogischen Ansichten in Bezug auf Liebe, Tugend, Stolz und Ehre, Familienwerte, Geschlechterrollen und persönliche Grenzen, die auf der Leinwand zu sehen waren, entsprachen nahezu perfekt den Werten, mit denen viele von uns aufgewachsen sind. Für Rani Mukherjee war es in Ordnung, in Minirock und Crop-Top ein hinduistisches Gebet zu singen, während ich getadelt wurde, als ich bei der Sicherheitskontrolle an einem Flughafen ein Spaghettiträger-Shirt trug – ganz zu schweigen davon, dass ich dafür meine Jacke hatte ausziehen sollen.
Als Erwachsene, die ein bisschen besser darin ist, Dinge zu erkennen, die nicht in Ordnung waren, ist es mir unmöglich geworden, die Bollywood-Filme meiner Jugend ohne eine Perspektive aus dem Jahr 2024 zu sehen, und ich kann auch nicht über meine ersten Eindrücke dieser Filme schreiben, ohne dass Gedanken und Gefühle von heute aufblitzen. Kürzlich schauten mein Vater und ich noch einmal Awaara (1951). Wir hatten den Film seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen. In einer Szene sind Nargis und Raj Kapoor am Strand und Nargis trägt einen ganz normalen Badeanzug und lässt Raj Kapoor mit überaus akrobatischen Schwimmkünsten blass aussehen. Ausgezeichnet. Aber später, als sie am Strand spazieren gehen, verletzt eine Bemerkung über seinen niedrigen sozialen Satus seinen männlichen Stolz und er ohrfeigt sie. Die peinliche Szene endet damit, dass sie ihn um Vergebung bittet. NEIN!
Ich frage mich langsam, ob es eine Hypnotherapie braucht, um in die Zeit zurückzukehren, in der ich als junger Mensch keine Ahnung hatte, dass der Flirt von Anumpam Kher und Himani Shivpuri über eine Karotte und eine heruntergefallene Rose in DDLJ eine schmerzhaft offensichtliche Anspielung war.
Eine Reise in die Vergangenheit, als ich jünger und dümmer war, ist jedoch sinnlos. Meine ersten Erfahrungen mit Bollywood-Filmen haben einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen – abgesehen davon, dass die Popkultur entschieden hat, dass bestimmte Filme es verdienen, als Klassiker bezeichnet zu werden. Vor diesem Hintergrund möchte ich einige Gedanken zu drei Filmen äußern, wie ich sie früher gesehen habe und heute. Vielleicht nimmst du etwas mit, auch wenn du ganz andere Erfahrungen gemacht hast.
Hum Saath Saath Hain (dir. Sooraj R. Barjatya 1999)
Diese moderne Nacherzählung der Ramayana handelt von Freuden und den Schwierigkeiten einer wohlhabenden hinduistischen Industriellenfamilie. Dieser zuckersüße Film kann in Bezug auf seine Figurenzahl mit Game of Thrones konkurrieren. Nach zwei Stunden passiert etwas Unangenehmes, dann wird das Problem gelöst und die Familie geht gestärkt aus der Situation heraus. Sie sind unfassbar reich, schenken ihre Aufmerksamkeit aber ihrem Glauben, einander und dem Bau von Fabriken und Kraftwerken im ländlichen Indien.
Nicht nur die Erzählung an sich macht den Film so reizvoll, sondern auch die unerschütterliche Liebe des ersten Ehepaars, das die gesamte Familie mit in die Flitterwochen nimmt. Ihre Hingabe für die familiäre Gemeinschaft, die es im wirklichen Leben selten gibt, war wie Balsam für mich, da meine zersplitterte Familie durch Ländergrenzen, verschiedene Städte, Autobahnen, Pendelverkehr und individuelle Ambitionen voneinander getrennt ist.
Doch leider fehlt es den vielen Charakteren an Persönlichkeitstiefe und sie sind nur durch bestimmte Eigenschaften zu erkennen – z. B. zu spät kommen, den Boden anlächeln oder Gedichte in Urdu rezitieren. Aber es lohnt sich, den Film anzuschauen, denn die Stärke dieser patriarchalischen Einheit ist unzerstörbar – was in der Ramayana nicht der Fall ist. Außerdem ist der Film vollgepackt mit Liedern und guten Tanzchoreografien zum Nachahmen.
Devadas (dir. Sanjay Leela Bhansali, 2003)
In der Verfilmung des 1917 erschienenen bengalischen Originalromans geht es um eine tragische, unerfüllte Liebe zwischen den Jugendfreunden Devdas und Paro. Stell dir Bhansali als Baz Luhrmann von Bollywood vor, damit du diese Verfilmung in den richtigen Kontext setzen kannst. Der Film ist visuell atemberaubend, übermäßig mit goldenen Ornamenten bestückt und erfüllt von so viel sexueller Energie, dass es kein Wunder ist, dass alle so heftig tanzen.
Aber ein Fest der Sinne, bei dem talentierte Kostüm- und Lichtdesigner*innen, Kameraleute und Choreographen brillieren, kann nicht über eine flache Geschichte hinwegtäuschen. Die Sterblichkeit der ursprünglichen Geschichte, in der Paro und Devdas durch Kasten- und Klassenunterschiede auseinandergehalten werden und Devdas sich aufgrund seines Alkoholmissbrauchs in eine hagere Körperhülle verwandelt, ist in dieser Version wie eine Fabel, die trotz all der schrecklichen Dinge, die passieren, immer noch ätherisch schön ist.
Dieser Film war meine erste Erfahrung mit Devdas und Paro, und ich fühlte mich natürlich von den Bildern angezogen. Es fühlte sich an wie die Version meiner Generation von wunderschönen Epen wie Pakeezah oder Mughal-e-Azam, und das Zuschauen war ein reines Gefühlschaos, bei dem man einfach nur möchte, dass jemand ein glückliches Leben hat. In meiner Familie schätzen wir besonders Dillip Kumars Version von Devdas aus dem Jahr 1955. Ähnlich wie bei den verschiedenen Versionen von A Star is Born scheinen auch die Adaptionen von Devdas große Stars anzuziehen.
Bhansalis Version glänzt mit zwei tänzerischen Kraftpaketen, Aishwarya Rai und Madhuri Dixit. Als wir sie das erste Mal zu „Dola re Dola“ zusammen tanzen sahen, drehte sich meine Mutter zu mir um, mit einem Hauch von Stolz in der Stimme, und erklärte: „Das sollten Fred und Ginger mal versuchen nachzumachen!“
Ich empfehle die älteren Verfilmungen und auch das Buch. Aber es ist nichts für diejenigen, die nur Happy Ends mögen.
Dil to Pagal Hai (dir. Yash Chopra, 1997)
Eine Dreiecks-Liebeskomödie über eine Tanztruppe. Rahul, Produzent und Darsteller einer Tanztruppe, kündigt vor dem Publikum an, dass sie „Maya“ aufführen werden, ein Musical über ein Mädchen, das auf die wahre Liebe wartet. Das Problem ist nur, dass es diese Show noch nicht gibt – und dass es kein Mädchen wie Maya gibt – oder doch?
Dieser Film kann man sich vielleicht als „geek to chic“-Narrativ vorstellen, aber es ist eher „spunky to sanskaari“. Rahuls Liebste, Pooja, ist das idealisierte Desi-Mädchen. Schüchtern, unterwürfig und tugendhaft – ihre Freundin bringt es auf den Punkt, indem sie erklärt, dass Desi-Mädchen nicht mitentscheiden, was mit ihrer Zukunft passiert. Ganz im Gegensatz dazu ist Rahuls Kollegin Nisha selbstbewusst und unabhängig. Sie trägt hauptsächlich westliche Kleidung und stellt Rahul zur Rede, wenn er sich daneben benimmt.
Als ich diesen Film zum ersten Mal schaute, war ich gerade in der Pubertät und Körperbilder waren eine komplizierte Sache. Instinktiv mochte ich Nisha lieber, weil sie diese Sache hatte, die Frauen gar nicht haben sollten. Was war das? Persönlichkeit? Selbstvertrauen? Ein Job, dem sie sich verschrieben hat? Mein dummes Frauenhirn muss vergessen haben, was es war.
Wenn ich an diesen Film denke, wird mir rückblickend klar, dass ich eigentlich in der Lage war, gesunde Muster zu erkennen. Aber als die eindimensionale Pooja ihr Happy End bekam, fachte das meine Unsicherheit an.
Dieses Konformitätsmuster wurde ein paar Jahre später in Kuch Kuch Hota Hai noch erfolgreicher wiederholt: Nisha akzeptiert die Situation und tritt in den Hintergrund, nachdem sie sich nie verändern wollte, um Rahul zu gefallen.
Mehr als 25 Jahre später bin ich froh, dass Nisha anscheinend die Anerkennung erhält, die sie verdient.
Auch wenn sich meine Gefühle im Laufe der Zeit verändert haben, Liebe ich diese Filme immer noch und den vertrauten, liebevollen Kontext, in dem wir sie geschaut haben. Ich möchte behaupten, dass wir dazu erzogen wurden, die besten Seiten unserer Kultur zu sehen, und dass Bollywood einiges davon sichtbar macht. Allerdings machten wir immer nur Ausflüge in diese Welt und verstanden sie nicht als ernsthafte Vorlagen für unsere Leben. Deshalb kann ich die Filme schätzen und kritisieren. Und ich hoffe, Lust auf sie gemacht zu haben.
- Hier geht’s zu Kulturelle Verpackungen 1