Harlem Shuffle
US-Autor Colson Whitehead ist spätestens seit seinen Romanen Underground Railroad (2016) und The Nickel Boys (2019), die beide mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurden, auch in Deutschland kein Unbekannter mehr. Nun legt er mit Harlem Shuffle (2021) einen weiteren Roman vor, der – wie auch schon die beiden Vorgängerwerke – US-Geschichte aus einer Schwarzen Perspektive betrachtet. Nachdem Whitehead sich mit dem düsteren Kapitel der Sklaverei (Underground Railroad) und dem durch die Jim-Crow-Gesetze institutionalisierten Rassismus in den Südstaaten (The Nickle Boys) befasste, sollte sein nächster Roman eigenen Aussagen zufolge weniger schwer verdaulich werden.
Dabei herausgekommen ist – inspiriert vom Genre der sogenannten heist movies – ein Ganovenstück, das im Harlem der 1960er spielt. Also inmitten der Zeit der Civil Rights Movement, deren historische und politische Entwicklungen jedoch eher hintergründig thematisiert werden. Im Vordergrund steht vielmehr das alltägliche Schwarze Leben im Stadtteil Harlem, das ebenso von Armut, Drogen und Kriminalität wie von einer aufstrebenden Schwarzen oberen Mittelschicht geprägt ist. Whiteheads Protagonist, der Möbelhändler Ray Carney, hat in beiden Welten einen Fuß in der Tür. Denn auch wenn er das kriminelle Milieu seiner Kindheit als zweifacher Vater und seiner „aus gutem Hause“ stammenden Frau zuliebe eigentlich hinter sich lassen will, wickelt er hin und wieder zwielichtige Geschäfte im Hinterzimmer seines Möbelgeschäfts in der 125 Straße ab, in der sich u.a. auch das berühmte Apollo Theater und das Hotel Theresa befinden. Letzteres wird zum Schauplatz eines von Carneys Cousin Freddy angezettelten Raubüberfalls – und wie bereits in ihrer Kindheit zieht dieser das in puncto krumme Dinger eigentlich „kleine Licht“ Carney in die Sache mit hinein. In der Folge treten Charaktere mit klangvollen Namen wie Miami Joe, Chink Montague, Pepper und Cheap Brucie in Carneys Leben. Diese vielfältigen Kontakte und die durch Gaunereien erwirtschafteten extra Einnahmen ermöglichen ihm paradoxerweise den lang ersehnten sozialen Aufstieg in die bürgerliche Mitte der Harlemer Gesellschaft, die sich teils jedoch als weniger rechtschaffen herausstellt, als sie vorgibt zu sein. Cousin Freddy rutscht durch seine Freundschaft zum Junkie Linus hingegen immer weiter ab, sodass selbst Carney bei dessen nächstem großen Ding droht, ihn nicht mehr retten zu können.
Anders als das dringend notwendige, aber oft schmerzhafte Eintauchen in die US-Geschichte der Vorgängerwerke, sind die Schilderungen der Harlem Shuffle in drei Teile gliedernden Jahre 1959, 1961 und 1964 und das Leseerlebnis insgesamt– wie vom Autor beabsichtigt – überwiegend von Leichtigkeit geprägt und unterhaltsam. Das hat mich im ersten Moment überrascht, aber da der Roman keineswegs unpolitisch ist, spannende Parallelen wie etwa der Harlem Riots von 1964 zur heutigen Black Lives Matter-Bewegung offenbart und eine bewegte Zeit Schwarzer Geschichte in New York wiederauferstehen lässt, war die Lektüre dennoch gewinnbringend für mich und ist an Schwarzer Geschichte interessierten Leser*innen zu empfehlen. Kleiner Wermutstropfen war für mich jedoch die deutsche Übersetzung von Nikolaus Stingl, die versucht das Amerikanische Englisch der 1950er und 1960er Jahre nachzuempfinden, dabei im Deutschen mit Wörtern wie „Krawallbrüder“ (engl. „hooligans“), „Weißbacken“ (engl. „whitey“) und „behumsen“ (engl. „shortchanging“) allerdings doch etwas arg konstruiert wirkt.
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