Hässlichkeit
Moshtari Hilal ist Künstlerin, Kuratorin und Autorin. In ihren Kunstwerken befasst sie sich seit einigen Jahren mit Schönheitsidealen und Ideen von Hässlichkeit. Nun hat sie ein Buch zu diesen Themen veröffentlicht, in dem sie lyrisch und erzählend biographische Anekdoten mit einem Blick in die Wissenschaft, die Geschichte und die Kunst verbindet. Den Text ergänzt sie mit Bildern, selbst gezeichneten, Selfies mit Filtern, Screenshots, Filmstills, Werbeanzeigen, usw. Als Leser*innen dürfen wir den teilweise schmerzhaften Prozess der Auseinandersetzung mit dem, was als hässlich konstruiert wird, begleiten, um festzustellen, dass Hässlichkeit eigentlich das ist, was hinter dieser Konstruktion steht.
Hilal beschäftigt sich zunächst mit der Nase und der sogenannten Rhinoplastik – der chirurgischen Veränderung der Nasenform im Sinne gängiger Schönheitsideale. Und schon an dieser Stelle, gleich zu Beginn des Buches, wird klar, dass alles, was als schön oder hässlich gilt, mit Macht zu tun hat. Schönheitsideale sind historisch geprägt von Rassismus, Antisemitismus und Ableismus. Beispielsweise wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche „jüdisch wirkende Nasen“ operiert. Jüdisch zu wirken war gefährlich in einem Deutschland das besessen davon war, die Fremdheit von Jüdinnen*Juden zu beweisen. Bestimmte Wissenschaftler und (pseudo-) Wissenschaftsbereiche beteiligten sich an der Suche, Unterschiede zwischen Menschen zu beweisen, z.B. die Physiognomie, in der der Charakter anhand der physischen Erscheinung und insbesondere des Gesichts hergeleitet wurde, die Phrenologie, die behauptete die (kriminelle) „Natur“ bestimmter Menschen anhand ihrer Schädelknochen bestimmen zu können, oder die Eugenik, die das menschliche Erbgut „verbessern“ wollte und damit unzählige Menschen für wertlos erklärte. Nach der Nase wendet sich Hilal der Körperbehaarung zu, der chronischen Infektionskrankheit Lepra und zuletzt kranken und toten Körpern. Ideen von Hässlichkeit rufen Unterdrückung hervor, Hass und Selbsthass.
Hässlichkeit führt sowohl zu ablehnender Distanzierung als auch zu Faszination. Hilal zeigt, wie Hässlichkeit immer wieder als Phänomen öffentlich ausgestellt wurde, in sogenannten Freak Shows oder bei Besuchen eigentlich isoliert lebender Leprakranker, die eher an Zoo-Besichtigungen erinnerten. Wo Hässlichkeit geächtet wird, ist Schönheit ein mächtiges Statussymbol. Auch diesen Status tragen Menschen gern zur Schau. Hilal verweist an dieser Stelle auf den Iran, wo einige Menschen, die sich keine chirurgische „Verschönerung“ ihrer Nase leisten können, die Pflaster auch ohne OP ins Gesicht kleben. Die Anekdoten über das Sehen und Gesehen-Werden sind überaus augenöffnend.
Auch wenn der Fokus auf Hässlichkeit und Hass liegt, steckt viel Liebe in der Gestaltung des Buchs und viel Wertschätzung in der assoziativen, vielschichtigen Erzählweise und der ernsthaften Auseinandersetzung mit diesen überhaupt nicht oberflächlichen Themen. Hilal plädiert dafür, die eigene Suche nach Schönheit kritisch zu hinterfragen, Gegensätze aufzulösen und sich um Versöhnung zu bemühen.
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