Europa und Postkolonialismus: Ein Besuch im Treptow Museum
Die Ausstellung ZurückGESCHAUT im Treptow Museum in Berlin zeichnet sich meines Erachtens nicht so sehr durch das aus, was sie ausstellt, sondern vielmehr durch die Art und Weise, wie sie es tut. Damit will ich nicht sagen, dass der Inhalt der Ausstellung nicht wichtig wäre, das ist er durchaus. ZurückGESCHAUT wurde im Oktober 2017 eröffnet und ist die erste Dauerausstellung, die sich mit Kolonialismus, Rassismus und Widerstand in der deutschen Geschichte auseinandersetzt. Was vielleicht noch bedeutsamer – weil seltener – ist, ist der sensible Einbezug der Folgen dieser Kolonialgeschichte. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und Berlin Postkolonial grundlegend mitkonzipiert wurde. Im Gegensatz zu anderen Ausstellungen, die sich mit schwierigen und oft unzureichend behandelten Fragen der kolonialen Vergangenheit Europas auseinandersetzen, nutzt ZurückGESCHAUT nicht die eurozentrischen Parameter der Wissensproduktion und verfolgt auch nicht das Ziel, gestohlene Objekte oder Schwarze Körper für den Konsum durch den weißen Blick zu objektifizieren.
Es regnet jedes Mal, wenn ich die Ausstellung besuche. Das Museum liegt weit außerhalb des Stadtzentrums, und die Anfahrtszeit ist kein Katzensprung, selbst für großstädtische Verhältnisse nicht. Es liegt wirklich am Arsch der Welt. Als ich zum ersten Mal den Weg dorthin auf mich nahm, war ich mir bis in die Ausstellung hinein unsicher, ob ich wirklich am richtigen Ort war. Das Museum ist ein mehrstöckiges Haus, und die Ausstellungsräume selbst nehmen nur ein Stockwerk davon ein. Auf diesem Stockwerk umfassen sie drei volle Räume und eineinhalb Gänge. Die Bescheidenheit der Ausstellung ist entwaffnend. Der freie Eintritt verstärkt diesen Eindruck.
Das Thema von ZurückGESCHAUT ist die erste deutsche Kolonialausstellung von 1896, die im Rahmen der Berliner Messe desselben Jahres stattfand. Die Kolonialausstellung wurde überwiegend zu kommerziellen Zwecken organisiert, um Deutschland zu einem internationalen Konkurrenten zu stilisieren, der mit den anderen damaligen Weltausstellungs-Gastgeber*innen mithalten kann. Die Berliner Messe erstreckte sich über den gesamten Treptower Park. Auf einem großen Teil des Geländes befindet sich heute das sowjetische Ehrenmal. Die kolonialen Komponenten der Messe befanden sich im Süden des Geländes, in zwei Abschnitten: Der eine am Karpfenteich und der andere gegenüber der heutigen Bulgarischen Straße. Nach meinem ersten Museumsbesuch schaute ich mich in der Umgebung um, um diese beiden Orte zu finden, aber ich konnte nur vage Vermutungen darüber anstellen, wo alles stattgefunden haben musste. Es scheint keinerlei erkennbare Spuren zu geben, weder im Park noch an dem malerischen Teich, in dem tapfere Seelen schon im Frühjahr schwimmen und an dem sich Menschen im Sommer mit ihren Kindern zum Picknicken versammeln. Vor 124 Jahren hätten diese Wochenendausflüge ins Grüne vielleicht durch den Besuch einer Nachbildung eines „Kolonialdorfes“ am selben Ort ersetzt werden können.
Obwohl einige der Quellen, auf die das Museum zurückgreifen musste, um die Geschichte der damaligen Kolonialausstellung zu erzählen, in kolonial-rassistische Strukturen eingebettet sind, wurden sie mit großer Sorgfalt kontextualisiert, sodass eine respektvolle Darstellung entstanden ist, die auf die Handlungsfähigkeit und den Widerstand derjenigen verweist, die sich wehrten, in der Rolle von Ausstellungsobjekten festgeschrieben zu werden. Ein Raum mit Bildern von Männern, Frauen und Kindern, die aus den verschiedenen Kolonien Deutschlands in die „exotischen“ Dörfer der Ausstellung gebracht wurden, bemüht sich sehr, den Fokus auf die Wirkmächtigkeit dieser Menschen zu legen, die mit ihren eigenen Vorstellungen und Plänen nach Deutschland kamen. Diese Bilder mussten einem umfangreichen Band mit dem Titel „Deutschland und seine Kolonien im Jahre 1896“ entnommen werden, der damals als Ausstellungskatalog und damit als Dokumentation und Buchführung über die ausgestellten „Objekte“ diente. Aber ihre neue Anordnung widersetzt sich der Objektifizierung.
Die Fähigkeit, sich durchzusetzen und Widerstand zu leisten, zeigt sich deutlich am Beispiel von einem dieser nach Deutschland Gereisten: Kwelle Ndumbe, der Anführer einer Gruppe aus Douala, die zu Ausgestellten gemacht wurden. Es gelang ihm, die koloniale Machtdynamik, die in die Idee von „Ausgestellten“ eingeschrieben ist, zu unterlaufen, etwa durch seine Weigerung, sich in dem „traditionellen“ Gewand fotografieren zu lassen, was die Organisatoren von ihm verlangten, und durch den Kauf eines Opernglases in einem Berliner Opernhaus, mit dem er auf diejenigen zurückblicken konnte, die kamen, um ihn anzuschauen – daher der Titel der Ausstellung des Treptow Museums: Zurückgeschaut. Es scheint jedoch, dass begriffsstutzige weiße Besucher*innen den satirischen Aspekt damals nicht verstanden haben.
Die Ausstellung im Treptow Museum öffnete im Jahr 2017 und Kritiken drückten weitestgehend ihre Zustimmung aus. Der Eindruck, den sie im Gegensatz zu einigen der sichtbareren und zentraler gelegenen Museen macht, ist gelinde gesagt bescheiden. Aber ihre Existenz zeugt davon, dass es möglich ist, der deutschen Kolonialvergangenheit und ihren Verstrickungen mit einer gewissen kritischen Sensibilität zu begegnen.
Mit Beginn des Jahres 2020 wurde das auf fünf Jahre angelegte Projekt „Initiative für postkoloniales Erinnern in der Stadt“ in Berlin gestartet, das von ISD, Each One Teach One, Berlin Postkolonial und der Stiftung Stadtmuseum Berlin koordiniert und vom Berliner Senat und von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird. Dabei wird es eine Vielzahl sehenswerter Projekte und Veranstaltungen geben – einer der Pläne sieht vor, die Ausstellung im Treptow Museum weiterzuentwickeln. Besuchen Sie es jetzt oder besuchen Sie es später – aber lassen Sie sich nicht von dem weiten Weg abschrecken.