Die Zeuginnen
Die Veröffentlichung von Margaret Atwoods Die Zeuginnen im Jahr 2019 war ein Aufsehen erregendes Ereignis. Menschen standen Schlange, um die lang erwartete Fortsetzung vom Report der Magd zu ergattern. Die Fortsetzung wurde gefeiert und letztendlich sogar mit einem geteilten Booker-Preis ausgezeichnet (geteilt mit Bernardine Evaristos Girl, Woman, Other).
Es ist relativ eindeutig, dass Atwood Die Zeuginnen als Antwort auf den enormen Wunsch ihrer Fans nach mehr geschrieben hat, den der Erfolg der Fernsehadaption des Reports der Magd hervorrief. Am Ende der Zeuginnen erklärt Atwood, dass sie in den letzten Jahren immer wieder gefragt wurde, wie es zu Gileads Untergang kam; mit dem Buch formuliert sie ihre ausführliche Antwort auf diese Frage. Für diejenigen, die weder mit dem früheren Buch noch mit der Serie vertraut sind: Gilead ist ein Land, das sich von den USA abgespalten hat. Eine autoritäre Regierung versucht mit besonderer Härte, Frauen und ihre Körper zu kontrollieren – was eher eine naheliegende als weit verfehlte Idee ist.
Der Roman (wenn es denn wirklich einer ist) besteht aus drei Erzählsträngen, jeder ein eigenes Zeugnis. Das erste ist der schriftliche Bericht einer einflussreichen Tante die für den Staat von Gilead arbeitet – Atwoods Fans werden sie schnell wiedererkennen. Bei der zweiten Aussage handelt es sich um einen mündlichen Bericht einer jungen Frau, die im Haus eines angesehenen Kommandanten aufwuchs. Das dritte Zeugnis ist ein weiterer mündlicher Bericht eines Mädchens, das im benachbarten Kanada groß wurde. Die Kunst des Buches besteht darin, diese Erzählstränge langsam aber sicher zusammenzubringen.
Atwood ist offensichtlich eine ausgezeichnete Schriftstellerin. Die Zeuginnen ist eine gut ausgeführte und gut geschriebene Reaktion auf den Wunsch des Publikums, mehr über diese Welt zu erfahren, die sie sowohl im ersten Band als auch in der Serienadaption schlichtweg fesselte. Atwoods Werke kritisieren ein vernichtend patriarchalisches System. Sie erschafft überzeugende Ideen, wie das Patriarchat endgültig überwunden werden könnte, die beunruhigend relevant bleiben. Auf der anderen Seite hat dieser zweite Band wenig von dem Schwung, der intellektuellen Begeisterung oder der Undurchsichtigkeit seines Vorgängers. Während zum Beispiel der Rückblick aus der Zukunft am Ende des Reports der Magd den beunruhigenden Effekt hat, den Rahmen zu destabilisieren, in dem sich die Leser*innen für den größten Teil des Buches befanden, versichert das gleiche Mittel dem Publikum in den Zeuginnen nur ein völlig eindeutiges Happy End ohne irgendeinen Stachel. Ein Teil des Reizes des früheren Buches bestand darin, dass es seinen Leser*innen keine tröstlichen Plattitüden servierte; das jüngere Werk ist sehr viel glatter.
Die Zeuginnen ist ein gutes Buch und eine gute Lektüre, aber am Ende stellt sich die Frage, ob Fans immer bekommen sollten, was sie sich wünschen. Meine unoriginelle Schlussfolgerung für diese Rezension lautet, dass die Fortsetzung einfach nicht so gut ist, wie der Report der Magd.
Berlin Verlag 2019, übersetzt von Monika Baark
(Das Englischsprachige original The Testaments erschien 2019 bei Random House)
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