Auf dem Weg in den Sektor 1
Letztes Jahr veröffentlichte poco.lit. einige Essays über Afrofuturismus, Afrikanischen-Futurismus und spekulative Fiktion. In diesem Jahr freuen wir uns, einige kurze, kreative Beiträge zu präsentieren, die über alternative Zukunftsvisionen für den afrikanischen Kontinent spekulieren.
Heute war der dritte Tag in Folge, an dem Azul lediglich Reis mit Butter aß. „Ist das das Leben, das für mich bestimmt worden ist?“, dachte er. Als ob seine Mutter seine Gedanken gelesen hätte, sagte sie: „Azul, es tut mir so leid. Wenn ich könnte, würde ich dir sofort dein Lieblingsgericht kochen!“ Sie schenkte ihm ein liebevolles Lächeln. „Es ist nicht deine Schuld, Mama.“ Sie bemühte sich sehr, ihm das Beste zu geben, aber ihre Möglichkeiten waren begrenzt. Zum Glück hatte sie noch ihren kleinen Laden. Die Einnahmen daraus reichten gerade aus, um über die Runden zu kommen. Azul packte seine Tasche, um pünktlich zur Arbeit zu kommen – noch etwas, das er sich vor fünf Jahren kaum hätte vorstellen können. Immerhin, so dachte er, könnte er nach dem Studium endlich die Welt erkunden und neue Erfahrungen sammeln. Stattdessen stand er nun jeden Morgen um fünf Uhr auf, damit er und seine Mutter etwas zu essen auf den Tisch bekamen.
Gerade als alle dachten, dass das Virus unter Kontrolle gebracht worden war, mutierte es zu einer noch aggressiveren Form. Panik brach aus und die Regierung war gezwungen, harte Maßnahmen zu ergreifen. Doch Azul hätte nie gedacht, dass diese „Maßnahmen“ dazu führen würden, dass sein geliebtes Gaborone durch Mauern geteilt würde. Das Virus breitete sich innerhalb kürzester Zeit rasant aus und zwang die Regierung zunächst dazu, alles abzuriegeln. Dann wurde klar, dass es völlig unmöglich sein würde, die gesamte Bevölkerung zu impfen, und dass die Lebensmittel nicht für alle reichen würden. Also wurde die Stadt in verschiedene Sektoren aufgeteilt. Gaborone, einst eine lebendige Stadt mit vielen Studierenden, Bars und Restaurants, bestand nun aus vier verschiedenen Sektoren. Mauern trennten sie voneinander, und mit ihnen die Gesellschaft. Wenn Azul an seine geliebte Stadt dachte, wurde sein Herz schwer. Er und seine Mutter hatten es noch recht gut, sie durften arbeiten und ihr Haus behalten, aber die Menschen in Sektor 3 nicht. Außerdem galten in allen vier Sektoren andere Regeln. Azul war froh, dass es in seinem Sektor nur eine Ausgangssperre ab 20 Uhr gab, so konnte seine Mutter den Laden lange genug öffnen, um ihr Einkommen einigermaßen stabil zu halten. Aber was ihm am meisten Sorgen machte, war die Regierung. Alles wurde kontrolliert. Drohnen flogen herum, um die Menschen zu überwachen. Einen anderen Sektor zu betreten, war nur gegen Vorlage einer Genehmigung erlaubt. Außerdem verstand er nicht, warum der gesamte Sektor abgeschnitten war, als die Ausgangssperre begann.
Azul beeilte sich, seinen Bus zum Grenzübergang zu erwischen, denn er arbeitete im Sektor 1 bei den Reichen und Privilegierten. Er hatte großes Glück gehabt, durch Zufall als Gärtner bei Dr. Ketumile Masire angestellt worden zu sein. Azul verstand sich sehr gut mit ihm und war trotz aller Umstände froh, der tristen Gegend in Sektor 2 hin und wieder zu entkommen. Als der Bus endlich anhielt, stieg Azul aus und reihte sich in die lange Schlange vor dem Grenzübergang ein. Jeden Morgen musste er eine zusätzliche Stunde einplanen, um von seinem Sektor in Sektor 1 zu gelangen. Als er etwa eine Viertelstunde in der Schlange gewartet hatte, hörte er plötzlich, wie jemand seinen Namen rief.