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Sonntags-Toast mit Butter

Sonntags-Toast mit Butter

Priya Singhs Kurzgeschichte „Sunday Buttered Toast“ veröffentlichen wir in ihrer gesamten Länge in der Originalsprache Englisch. Ins Deutsche wurden Auszüge der Geschichte übersetzt.

Gestern Abend gegen 22 Uhr trank Jess einen Becher Horlicks, dieses süße, warme malzhaltige Milchgetränk zusammen mit einem pralinengroßen Schokoladenstück in Tropfenform von Hershey‘s. Sie hatte noch eine Tüte davon hinten im Schrank gefunden, das Haltbarkeitsdatum war bereits überschritten. Das Schokoladenstück war inzwischen weiß und versteinert, aber durch kräftiges Umrühren gelang es ihr, es zu einem Klecks zu schmelzen, den sie zum Schluss mit einem Waffelkeks mit Vanillecremefüllung ass.  

In dieser Nacht träumte sie, dass sie das Auto von Ehemann 8 fuhr, als ob sie tatsächlich fahren könnte. Als ob sie es jeden Tag täte. In der hinteren Reihe saßen die Drillinge, die im Teenageralter waren. Sie wohnten am Ende ihrer Straße, kurz vor der Sackgasse. 

Der Cousin von Ehemann 8 hatte gerade eine frisch geschlachtete und geputzte Ziege von einer örtlichen Ziegenfarm mitgebracht. In seiner Familie war es Tradition, einmal im Monat die Existenz von Fleisch und Alkohol zu feiern, indem man alle Teile der Ziege kochte und mit viel Whiskey und Limonade herunterspülte. 

Als sie ankamen, war der Kopf der Ziege aufrecht auf dem Gasgrill platziert worden. Sie trug einen großen Hut, der mit der amerikanischen Flagge umwickelt war. Die Augen starrten sie anklagend an. Jess‘ Magen krampfte sich zusammen, und sie eilte zum Gartenzaun, wo die Drillinge bereits würgten. 

Eine heiße Flüssigkeit kam ihr hoch, bahnte sich ihren Weg aus ihrer Kehle und übergoss die Holzlatten des Zauns mit glühend heißem Ziegenblut. Ihre Kehle schnürte sich plötzlich zusammen, und ihr Körper versuchte noch mehr herauszupressen, während ihre Muskeln gegen etwas ankämpften, das in ihrem Inneren gefangen war.

Mit zwei Fingern zog sie nacheinander ihre goldenen Ohrringe, Nasenstecker und Ringe heraus. Es folgte eine lange goldene Kette, und sie würgte, als sie langsam in ihren beiden blutigen Fingern auftauchte. 

Jess riss ihre Augen auf, die sofort auf die Dunkelheit der Decke trafen. Die Leere entspannte augenblicklich ihre Muskeln. 

„Kitne dumme vaale sapna. Was für ein bescheuerter Traum.“

Es war vier Uhr morgens, und wieder einmal musste sie sich entscheiden, ob sie den uralten Fernseher auf ihrer Kommode einschalten oder versuchen sollte, aus dem Stapel Kinderbücher auf ihrem Nachttisch zu lesen. Wie immer erschöpfte sie diese Entscheidung zu sehr. Sie lag bewegungslos da, bis ihr Wecker eine Stunde später klingelte.

Aber es war Sonntag und das war immer ein Tag, auf den Jess sich freuen konnte. Sie setzte sich mit einer Leichtigkeit im Herzen auf, die ihr an den anderen Tagen der Woche zu fehlen schien. Seit ihrer zweiten Ehe war der Sonntag ein Tag, an dem die Leute zum Frühstück kamen. Das Geplauder und die gute Laune hielten so lange an, dass sich das Frühstück meist bis zum Mittagessen hinzog, bevor die Leute nach Hause gingen.

Sie schob die dünne Bettdecke zurück und drückte ihre nackten Füße in den Plüschteppich. Er hatte immer noch die gleiche, frische Farbe wie eine aufgeschnittene Birne. Seit sie in diesem Haus lebte, ließ Jess die Teppiche einmal im Monat von einem der Drillinge shampoonieren und staubsaugte jeden zweiten Tag. 

Seit Ehemann 8 vor vier Monaten verstorben war, wurde das Staubsaugen zu einer Art Besessenheit. Wenn das Schlafzimmer noch in die morgendliche Dunkelheit gehüllt war, sahen die Staubsaugerspuren wie Wege aus, die in verschiedene, unbekannte Richtungen führten. Sie liebte es, die sauberen, flauschigen Spuren zu sehen, die sich von der üblichen Sauberkeit der Teppichfasern abhoben.

Jess hob die Arme und richtete sich vom Bett auf, um sich lang und genüsslich zu strecken. Sie zuckte zusammen, als eine Reihe von Knacken durch sie hindurchschoss wie ein verirrtes Feuerwerk, obwohl es sich schlimmer anhörte, als es war. Mit ihren fünfundsechzig Jahren war Jess stolz darauf, dass sie insgesamt bei bester Gesundheit war. Vor allem, wenn man bedenkt, dass viele in ihrem schrumpfenden Bekanntenkreis an den Beschwerden von Menschen litten, die zehn Jahre älter waren.

Ehemann 3 war in seiner Jugend ein talentierter Ringer gewesen, der sich mehr für die Aussicht auf Ruhm interessierte als für das Training, das ihn dorthin gebracht hätte. Als Ehemann verbrachte er viel Zeit damit, zu trinken und die Weisheiten des Ringen zu erläutern, die die heutige Jugend nie verstehen würde. Obwohl Jess ihn oft als „Harami“, einen Sündigen, bezeichnete, weil er öfter bewusstlos wurde als er ins Bett ging, war er derjenige, der ihr das Dehnen beigebracht hatte. Von ihm lernte sie, sich der verschiedenen Muskeln in ihrem Körper bewusst zu werden; wann sie sich anstrengen und wann sie ihre Grenzen akzeptieren sollte, um Verletzungen zu vermeiden. 

Es wurde zu einer persönlichen Praxis nach langen Spaziergängen und abends, wenn sie vor dem Schlafengehen duschte. Sie tat es hinter verschlossenen Türen, weil alle Ehemänner sie ausgelacht hatten. 

„Trainierst du für die Olympischen Spiele?“  

„Willst du größere Muskeln haben als ich?“

Aber seit sie allein war, genoss sie ihre langen Dehnübungen im Wohnzimmer, oft splitternackt.

Sie ging ins Bad, um zu duschen und sich die Zähne zu putzen, und betrachtete zufrieden ihr verdunkeltes Spiegelbild mit seinen verschwommenen Rändern. Der Herbst war bereits in vollem Gange, und so hatte das Licht am Morgen Mühe, sich durchzusetzen.

[…]

Jeden Sonntag war es das gleiche Ritual, auch wenn die Leute schon seit Jahren nicht mehr kamen. Selbst diejenigen, die Mitleid mit ihr hatten oder ihre Geschichte nicht kannten oder sich nicht für sie interessierten. Mit Radha und ihrer Enkelin wäre selbst das noch zu ertragen gewesen. Aber ohne sie war die Stille zu viel.

Um zu versuchen, etwas von der Schwere ihrer leeren Tage auszugleichen, stürzte sie sich in dieses wöchentliche Theater, um diesen Tag nicht in ungewohnter Stille verstreichen zu lassen. Ihr Leben schien schon lange keinen wirklichen Sinn mehr zu haben. Aber für diese wenigen Stunden am Morgen konnte sie so tun, als würde man sich an sie erinnern und sie brauchen. 

Nach einer Scheibe Toast mit mildem Colby Jack-Käse aß sie das Ei, schöpfte das Eigelb aus und beträufelte es mit Pfeffer und scharfer Soße. Danach aß sie Orangen- und Birnenscheiben, dann einige Pepper-Jack-Käsescheiben. Sie schluckte den Rest ihres kalten Tees und stellte fest, dass sie die zweite Kanne auf dem Herd vergessen hatte.

Zum Glück konnte sie ihn retten, bevor das Wasser vollständig verdunstete. Der Boden der Kanne trug noch einen schwachen Brandfleck von der Vorwoche. Diesmal machte sie den Tee mit Kardamom, Zimt und Rosinen. 

Nachdem sie weitere Scheiben geröstetes Brot auf die anderen drei Teller gelegt hatte, ließ sie sich mit ihrem Tee auf dem Sofa nieder, um Spielshows zu sehen. Die Geräusche der aufgeregten Kandidaten, die Siegesschreie und das schallende Gelächter im Studio waren beruhigend.

In der zweiten Runde von „Familienduell“ liefen ihr die Tränen in langen, nassen Bahnen über das Gesicht. In der letzten Runde brach sie in Schluchzen aus, das ihren ganzen Körper erschütterte und ihre Bauchmuskeln schmerzen ließ. Jess weinte sich in den Schlaf, bevor die nächste Sendung begann, zusammengerollt in einer engen Kugel, den Mund leicht geöffnet.

Als sie aufwachte, befand sich wieder ein nasser Fleck auf dem Kissen. Jess wischte sich den Mund mit einem Taschentuch sauber und drehte das Kissen um, um die nasse Stelle zu verbergen. Die andere Seite war noch immer fleckig von vor zwei Wochen. Heute hatte sie es geschafft, bis weit nach Mittag zu schlafen. Jess bereitete sich eine Tasse starken, simplen schwarzen Tee zu, um sich wacher zu machen. Sie aß die Reste des Jeera-Hühnchens von gestern Abend zwischen zwei Scheiben Butterbrot.

Am nächsten Tag machte Jess aus den Resten Eier-Käse-Sandwiches und Obstsalat mit Kardamom. Sie packte alles ein und gab es Adriana, einer der Drillinge, die Jess jeden Montagnachmittag zum Supermarkt fuhr, wenn sie von der Schule nach Hause kam. Adriana wollte nach der Highschool Feuerwehrfrau werden, und ihr ständiges Training bedeutete, dass sie immer hungrig war. 

Sie packte das Sandwich sofort im Auto aus und verschlang die Hälfte davon mit einem Bissen: „Herzlichen Dank dafür!“

Adriana begann auf der nächsten Hälfte zu kauen, während sie mit der anderen Hand das Auto startete: „Sie müssen eine Menge Leute verpflegen.“   

Jess lachte, was sie hoffte, dass es ein leichtes Lachen war. Sie fragte sich, ob Adriana das wirklich glaubte, wenn das Fahrzeug, das am häufigsten vor ihrem Haus parkte, der Postwagen war. 

„Was soll ich sagen?“, Sie schenkte Adriana ein mütterliches Lächeln. „Ich liebe es, mich um Menschen zu kümmern.“

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