Authentisches Grünzeug oder wir lieben Dhaniya
Warum gibt es diesen Druck, Kolleg*innen auf einer Weihnachtsfeier zu beeindrucken? Da wir noch nicht einmal seit einem Monat zusammenarbeiteten, war ich fest entschlossen, bei unserem Mitbring-Buffet mit einem besonderen Gericht hervorzustechen. Kochen sagt schließlich viel über einen aus.
Also entschied ich mich, für die erste Weihnachtsfeier mit meinen Kolleg*innen – einem möglichen Anzeichen dafür, dass ich erwachsen war – zwei Dinge mitzubringen, die in meiner Familie typisch sind: Samosas und gekochtes Tomatenchutney. Zu Hause gab es dieses Essen immer dann, wenn wir so viel Besuch hatten, dass man einen Kompass brauchte, um sich einen Weg durch vielen Schuhe vor der Haustür zu bahnen.
Die Zubereitung versetzte das ganze Haus, das zuvor bis zum letzten Dachziegel geschrubbt und gesaugt worden war, in Aufruhr. Die Atmosphäre war erwartungsvoll und feierlich zugleich. Alles fühlte sich sanfter und freundlicher an, die Schönheit in den kleinsten Details kam zum Vorschein.
In einer Großfamilie gibt es Arbeitsteilung. Alle finden ihren Lieblingsplatz am Tisch oder beugen sich über riesige Schüssel voller Zutaten. Teighaufen werden ausgestanzt, dann geformt und von goldbraunen, mit Maisöl glänzenden Händen ausgerollt. Goldene Armreifen klirren im Rhythmus der Messerklingen, die auf behelfsmäßigen Schneidebrettern klappern oder auf Topfdeckeln, wenn erstere ausgehen.
Stille gibt es nicht. Himmlisch für diejenigen, die lieber zuhören als reden. Vor dem Hintergrund des konzentrierten Atmens durch die mit goldenen Ringen verzierten Nasen ist es möglich, gemütlich in den Gesprächen der anderen zu versinken und gelegentlich eine Frage zu beantworten, bevor die Gruppe von einem anderen Thema abgelenkt wird. Rezepte werden nicht gebraucht. Diese Gerichte zu kochen, ist reine Gefühlssache. Jede Bewegung des Körpers beim Würzen, Wenden und Pürieren wird von Sinnen gesteuert, die durch jahrelange Wiederholung perfektioniert wurden.
Da ich zum ersten Mal im Ausland lebte und arbeitete, konnten keine Familienmitglieder meine eigene Identität stärken. Plötzlich war ich das Fenster in eine Esskultur, von der andere nicht viel wussten. Jeder Bissen musste daher mit meinen Erfahrungen und Erinnerungen angereichert werden.
Nach einem Tagesausflug nach Seoul am vergangenen Wochenende waren die beiden Schränke in meiner kleinen Küche mit allen notwendigen Gewürzen und unzähligen Zutaten gefüllt. Ich hatte Tomaten, die rochen, als wären sie frisch geerntet worden, und armlange Frühlingszwiebeln. Da Korea ein Gebirgsland ist, findet sich auf den Märkten eine unglaubliche Vielfalt an frischen Kräutern und Gemüsesorten. Aber zwischen all dem Neuen konnte ich genau das Kraut nicht finden, das ich suchte, egal wohin ich schaute.
Schon bevor ich mich für ein Gericht entschieden hatte, hatte ich bereits zwei Wochen lang nach Dhaniya gesucht, denn ohne Dhaniya fehlt meistens etwas. In der indischen Küche heißt es Dhaniya, in Nordamerika Cilantro, manchmal wird es auch als chinesische Petersilie bezeichnet und der Name Koriander leitet sich von der Pflanzengattung Coriandrum sativum ab. Der Name Koriandrum selbst kommt von dem griechischen Wort für eine Art Käfer, Koros, und bezieht sich auf den scheinbar stechenden Geruch der Blätter der Pflanze. Für alle, die Koriander hassen, dürfte diese Tatsache eine Genugtuung sein.
Wie üblich hat Dhaniya einen etwas unklaren Ursprung – es wird in ganz Südeuropa, Nordafrika und in weiten Teilen Ost- und Südostasiens angebaut. Und wie es bei den besten Zutaten üblich ist, kann es auf vielfältige Weise verwendet werden. Dhaniya dient nicht nur der Zubereitung eines perfekten Chutneys oder einer perfekten Salsa, sondern kann dank seiner kühlenden Wirkung auch für die Behandlung von Menstruationsbeschwerden und Geschwüren im Mund eingesetzt werden. Schon im alten Rom wurden vor einer Beerdigung Koriandersamen über das Grab gestreut.
Die Dhaniya-Pflanze hat lange, zerbrechliche Stängel und flache, zarte Blätter. Die Schönheit ist sofort erkennbar, täuscht aber leicht über das kräftige Aroma hinweg. Vielleicht gehört ihr zu denjenigen, die finden, Dhaniya würde nach Seife schmecken. Ihr könnt euch freuen, dann es gibt einen ganzen Tag, der ausschließlich dem Koriander-Hass gewidmet ist – deshalb widme ich euch diesen einen Absatz. Der 24. Februar ist der internationale Ich-hasse-Koriander-Tag.
Aber als überzeugte Liebhaberin dieses Zeugs (ich bin kein Monster) würde ich den Geschmack als erdig, aber dennoch fein beschreiben. Warme Sonnenstrahlen auf einem saftigen Blätterdach oder salzige Meeresluft mit Zitrusgeschmack. Der indische Starkoch Ranveer Brar wollte Dhaniya mit einer Petition auf Change.org zum indischen Nationalkraut machen. Dhaniya ist ein ganzheitliches Sinneserlebnis.
In verwestlichten Exporten indischer Gerichte wird Dhaniya viel zu oft als Verzierung verwendet – es werden nur ein paar kleingehackte Blätter zum Servieren auf das Gericht gestreut. Dabei sollte nichts von der Pflanze verschwendet werden: Hackt die Stiele! Zerdrückt die Wurzeln! Und wenn ihr die Blätter grob zerkleinert habt, könnt ihr die Reste, die noch an den Fingern kleben, genießen. Dhaniya ist eine dieser Zutaten, bei denen jeder Teil der Pflanze es verdient, gefeiert zu werden.
Koriandersamen mit anderen Gewürzen in Öl anzubraten, verleiht einem Gericht aus Kichererbsen oder Fisch mehr Leichtigkeit. Ein Mix aus Dhaniya mit Minze, Salz und etwas Zitronensaft ist überaus erfrischend. Die gehackten Blätter und Stängel, die kurz vor dem Servieren in ein Gericht gerührt werden, bilden den krönenden Abschluss. Als Küchenlehrling/Nebendarstellerin meiner Mutter trug ich zum Kochen bei, indem ich am Ende Dhaniya hinzufügte und dabei lernte, wie Geschmack und Textur in Einklang gebracht werden können.
In das Tomaten-Chutney für die Weihnachtsfeier soll eigentlich, solange es noch warm ist, eine großzügige Handvoll grob gehacktem Dhaniya untergehoben werden. Denn die Blätter sollen gerade nicht den Geschmack des seidigen Safts übernehmen, der von den Tomaten und Zwiebeln produziert wird. In der richtigen Menge verleiht Dhaniya dem Gericht eine leichte Würze, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Chefkoch Brar bringt es viel besser auf den Punkt, wenn er sagt: „Koriander verkörpert die Freude am Höhepunkt – ein Gericht gut abzurunden.“ … „Es ist der Unterschied zwischen Essen, das sättigt, und Essen, das anregt.“
Am Tag der Weihnachtsfeier war ich nervös, teils weil ich die Samosas in meinem kleinen Studio frittieren musste, teils wegen eines leichten Katers vom Vorabend. Ich bin nicht zurückhaltend, wenn es darum geht, zu übertreiben und den feinsten Feiertagskitsch auszupacken – weder damals noch heute. Aber in dem Moment gingen mir Visionen von apathischen Menschen durch den Kopf. Es ist nicht ideal, wenn andere das Essen nicht mögen, aber was, wenn sie es einfach ignorierten? War es zu spät, die süßen Pinguin-Servietten zu kaufen, die ich neulich gesehen hatte?
Zur elften Stunde (genauer gesagt um acht Uhr morgens) joggte ich noch einmal durch den nächsten Supermarkt. Das resultierende Weihnachtswunder entpuppte sich als dünnes Bündel einer geheimnisvollen Pflanzen. Sie sah irgendwie aus wie Dhaniya – wenn ich den Kopf in den Nacken leckte und ungleichmäßig blinzelte. Zu Hause spülte ich meinen Einkauf in einem Sieb ab und schaute ihn mir genau an. Das Kraut hatte lange Stiele, aber während Dhaniya-Stängel leicht unter den Zähnen knisterten, waren diese viel kräftiger. Die Blätter waren genauso formschön und zart. Aber das Dhaniya-Grün ist satt und vollmundig. Dieses Ratsel namens Ssuk sah aus wie sein blasser, anämischer Cousin. Auf Koreanisch heißt es Ssuk, auf Deutsch ist es Beifuß. Bevor ich alles über mein Chutney schüttete, testete ich die Kombination an einer kleinen Portion. Vielleicht komme ich damit durch? Oder hatte ich vielleicht etwas Neues entdeckt? Nein, eindeutig nicht. Mir fällt keine bessere Beschreibung ein: der Beifuß schmeckte grün. Der krautige Geschmack kehrte die süße, milde Harmonie aus Tomaten und Zwiebeln in etwas unangenehm Saures und Bitteres um. Die Gewürze, die ich liebevoll in heißem Öl angebraten hatte, um sie mit haufenweise Knoblauch und Ingwer zu vermischen, verflachten.
Am Ende ließ ich den Beifuß weg und entschied mich dafür, das Chutney mit dünnen Scheiben Frühlingszwiebeln zu garnieren. Doch für mich blieb das Chutney unfertig. Ich entschuldigte mich noch dafür, nachdem ich viele Komplimente bekommen hatte und nichts mehr übrig war.
Im folgenden Frühjahr trank ich Tee mit einer Freundin, als ihre Mutter uns zwei Tabletts mit frisch zubereiteten Songpyeon brachte, kleinen halbmondförmigen Reiskuchen, gefüllt mit süßen Füllungen aus geröstetem Sesam und Honig. Traditionell werden Songpyeon während Chuseok, einem Mittherbstfest, gegessen, aber sie wohnten direkt um die Ecke von einem dieser verträumten kleinen Dumpling-Läden, die aussehen, als wären sie einer Essensfantasie entsprungen: Der Laden gehörte einem alten Ehepaar, das noch nie etwas anderes getan hatte. Sie machten das seit Jahrzenten und waren unglaublich gut darin.
Der Reismehlteig wird oft mit getrockneten Kräutern oder Fruchtpulver gefärbt, und die grünen sind bei weitem die besten, weil die Kräuterigkeit die süßen Röstaromen ausgleicht. „Was ist das für eine Sorte?“ fragte ich meine Freundin. „Es ist ein typisches koreanisches Kraut, Ssuk. Du kannst damit auch sehr gut Suppen kochen.“
Es war ein bisschen lustig zu sehen, wie dieser kleine Betrüger seinen Kopf erhob und mich verspottete. Wenn ich die Dramatik beiseiteschob, konnte ich erkennen, dass diese Verwendung von Beifuß seine Qualitäten hervorhob. Ich war begeistert, so nah an dem Dumpling-Laden zu wohnen. Beifuß ist nicht nur gut gegen Magenbeschwerden und stillt Blutungen, er schmeckt auch hervorragend zu Nudeln und in Suppen.
Als ich vor Jahren begann, mich mit Food Writing zu beschäftigen, verfiel ich der fälschlichen Idee, dass verschiedene Küchen – vor allem „ethnische“ Küchen – auf jeden Fall authentisch dargestellt werden müssten. Meine Denkweise scheint mir fast unmöglich, da diejenigen, die mich das Kochen lehrten, überaus pragmatisch waren und zum Beispiel gefrorenes Roti kauften und Sprite verwendeten, damit die Gulgula besonders fluffig wurden.
In der Pizza-Folge von Ugly Delicious zeigt Chefkoch Christian Puglisi wie problematisch die Idee von „Authentizität“ in Bezug auf Essen ist. Für authentische neapolitanische Pizza müsste er eigentlich Büffelmozzarella aus Kampanien importieren. Puglisi macht sich über die Idee lustig, denn die Person, die diese Regel erfunden hat, verfolgt offensichtlich finanzielle Interessen. Puglisis Lösung? Er zeigt in YouTube-Tutorials, wie man Mozzarella selber machen kann, und er kaufte sich eigene Kühe.
Ich gebe zu, dass dies eher ein harmloses Beispiel für die Missachtung von Authentizität ist. Nehmen wir also Hummus als extremeres Beispiel. Hummus musste meiner Meinung nach schon unglaublich viele abscheuliche Mutationen durchmachen. Avocado-Hummus und Rote Bete-Hummus. Das Marketing als Superfood hilft. Noch schlimmer finde ich Falafel-Hummus, der mit zwei kalten, frittierten Kugeln in Plastikcontainern verkauft wird. Gerichte anzupassen oder zu experimentieren ist kein Freifahrtschein in alle Küchen dieser Welt. Ich habe bedenken, aber gerade in Bezug auf Hummus ist auch klar, dass er in vielen Regionen heimisch ist und überall unterschiedlich zubereitet und serviert wird.
Mein Chutney schmeckte also nicht so, wie ich es wollte, weil ich kein Dhaniya kaufen konnte. Aber es hat gut geschmeckt und einige meiner Freund*innen neugierig gemacht, mit mir zu kochen. So hatte ich Gelegenheit, meine eigene Esskultur zu teilen. Das ist mir das Wichtigste.
Bevor ich diesen Essay schrieb, dachte ich, es würde ein Text über polarisierende Lebensmittel wie Ananas auf Pizza (verdammt lecker) und Vegemite werden (was ich im Moment verabscheue – aber ich bin offen dafür, meine Meinung zu ändern). Dhaniya spaltet, weil es eine Variante gibt, die bitter und nach Seife schmeckt und die viele ohnehin schon wählerische Personen abzuschrecken scheint – und dementsprechend irrelevant ist… (Ich höre jetzt auf zu sticheln, versprochen!)
Stattdessen wurde Dhaniya zu einer Art sinnlichen Zeitreise für mich. Ich bin wieder in der Küche meiner Eltern und stehe mit meiner Mutter auf dem hölzernen Tritthocker, den mein Vater für gebaut hat. Sie lässt mich eine Handvoll gehacktes Dhaniya nehmen und es vorsichtig über einen Topf Hühnchen-Curry streuen. Der Topf ist einer, den ihre Mutter aus Fidschi mitgebracht hat, und da er keine Griffe hat, kann man ihn nur mit einem gefalteten Geschirrtuch handhaben. Wenn man ihn versehentlich berührt, brennt es so sehr, dass man Metall schmecken kann – wirklich wahr! Meine Mutter ist vor fast zwanzig Jahren gestorben und bin seit über zehn Jahren Vegetarierin. Diese Erinnerung macht mich aus, aber ich kann sie nie mehr wiederholen.
Wer jetzt noch mehr über Dhaniya erfahren möchte, sollte das Internet konsultieren. Denn es gibt eine passende Antwort auf Salt Bae: Cilantro Papi. Und er ist besser. Gern geschen!