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„Irgendwann muss man seine Übersetzung abgeben“: Ein Interview mit Anabelle Assaf

Im Rahmen unseres Projekts macht.sprache. sprechen wir mit verschiedenen Expert:innen, die sich mit Sprache, Übersetzung oder künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Anabelle Assaf arbeitete schon während ihres Masterstudiums in Angewandter Literaturwissenschaft im Literaturbetrieb. Sie hat zahlreiche Bücher aus dem Französischen und Englischen ins Deutsche übersetzt. In unserem Gespräch bietet Anbelle Assaf Einblicke in ganz konkrete Übersetzungsentscheidungen in Bezug auf Gender, Race und verschiedene Formen des Englischen anhand ihrer Übersetzungen von Washington Black von Esi Edugyan und Der Tod des Vivek Oji von Akwaeke Emezi. So viel ist klar: Es ist ein ständiges Abwägen.

Du hast eine ganze Reihe verschiedener Bücher übersetzt. Was denkst du, wann ein:e Übersetzer:in zu einem Text passt?

Das ist natürlich ein heikles Thema, das weit über das Übersetzen selbst hinausgeht. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass alle Übersetzer:innen alles übersetzen können. Für mich ist wichtig, dass mir der Ton liegt, und da ich einen leichten Hang zu manierierter Sprache habe, hat mir das Übersetzen so eines historischen Romans wie Washington Black unheimlich viel Spaß gemacht. Dabei konnte ich ein gewisses Vokabular im Deutschen anwenden, das für einen modernen Roman im Jugendmilieu überhaupt nicht funktionieren würde. Bei Vivek Oji war es insofern passend, dass Emezi in etwa meiner Generation entspricht und der Roman zu einer Zeit spielt, in der ich nur wenig jünger war als die Protagonist:innen selbst. Als Übersetzer:in kann man nicht immer alle Kriterien erfüllen, d.h. es ist immer gut, vorher zu wissen, wo oder von wem ich mir Hilfe holen kann. Viele Autor:innen sind wahnsinnig hilfsbereit und haben Lust, mit ihren Übersetzer:innen auf der ganzen Welt zu sprechen und Dinge zu erläutern. Es kann auch produktiv sein, mit anderen Übersetzer:innen eine Übersetzung gemeinsam zu machen.

Wie viel Fachwissen brauchen Übersetzer:innen als Grundlage für ihre Arbeit? Musstest du z.B. auf Fachwissen in Bezug auf Genderthemen zurückgreifen, um Akwaeke Emezis Werke übersetzen zu können?

Teilweise schon, wobei ich natürlich auch nur das übersetze, was im Ausgangstext steht. Belletristik unterscheidet sich in der Hinsicht etwas vom Sachbuchbereich. Wenn ich ein soziologisches Buch über Rassismus übersetze, muss ich mich richtig einarbeiten und mich in den entsprechenden Diskursen und den Fachbegriffen im Deutschen auskennen. Los geht es mit dem Begriff race und weiter mit white fragility. Für die Begriffe gibt es nicht unbedingt eine Entsprechung im Deutschen, da sie aus dem nordamerikanischen Kontext stammen.  

Bei Vivek Oji hatte ich ganz am Ende einen Moment der Unsicherheit und habe lange hin und her überlegt, was ich machen soll. Aber auch da habe ich mich hauptsächlich an die Vorgaben von Emezi gehalten. Jetzt kommt ein riesiger Spoiler: Als Vivek am Ende stirbt und Osita ihn durch die Straßen trägt, wechselt das Pronomen von he zu she. Osita spricht nur noch von my cousin, was im Englischen genderneutral ist, aber im Deutschen musste ich mich entscheiden, ob ich Cousine oder Cousin daraus mache. In dem Moment als die Erzählstimme im Originaltext einmal she verwendet hat, habe ich begonnen, Cousine zu nehmen. Letztendlich ist dieser Wechsel im Deutschen viel auffälliger als im Englischen.

Ich bin in einer Facebookgruppe für Übersetzer:innen, in der wir uns über alles, was Übersetzungen betrifft austauschen, und hatte eine total interessante Diskussion über diese Übersetzungsentscheidung: Mir wurde gesagt, dass ich bei einer Transperson nicht das Pronomen er verwenden kann, wenn die sich als Frau definiert. Aber Vivek ist für den größten Teil des Buches ein Mann und es geht viel um die Zuschreibung von außen. Ich wollte nicht anfangen, den Originaltext diesbezüglich zu verändern. Belletristik ist Belletristik. Mir wird eine Geschichte hingelegt und ich möchte nicht anfangen, bestimmte Diskurse hineinzuschreiben, die nicht schon drinstehen. Die Geschichte spielt in den 1990ern in einem Milieu, in dem die Leute überhaupt nicht sensibel waren für Transidentitäten. Tatsächlich ist Gewalt in Sprache ein zentrales Thema in Vivek Oji.

Gerade in Bezug auf gewaltvolle Sprache oder sensible Begriffe, stelle ich mir das Übersetzen von historischen Romanen besonders schwer vor. Im Kontext von Washington Black wird beispielsweise der Rassismus der Zeit sehr klar und deutlich ausgesprochen. Wie gehst du mit rassistischen Begrifflichkeiten in so einem historischen Text um?

Das ist wahnsinnig schwierig. Bestimmte Begriffe, wie Master für die Plantagenbesitzer auf Barbados, habe ich im Deutschen übernommen. Eine Übersetzung wie Meister würde mich eher an Martial Arts oder Handwerk erinnern. Aber wenn ich darüber nachdenke, warum Master für mich so ein feststehender Begriff ist, dann merke ich, dass es beim Übersetzen wichtig ist, die eigenen Quellen und Einflüsse zu hinterfragen.

Bei anderen Wörtern, wie z.B. dem N-Wort, ist es so, dass ich es beibehalten haben, wenn es im historischen Kontext benutzt wird, in dem es damals tatsächlich benutzt wurde. Gleichzeitig gehöre ich zu der Fraktion, die klar sagt, dass das N-Wort bei Pippi Langstrumpf nichts mehr zu suchen hat. Bei Kinderbüchern habe ich eine sehr dezidierte Meinung zu rassistischer Sprache, aber bei Washington Black, wo ein rassistischer Mensch in einem rassistischen System dieses Wort benutzt, sollte ich es wohl beibehalten. Aber das ist immer eine Abwägungssache. In einer Übersetzung eines historischen Romans von einem schottischen Autor, habe ich mich öfter dagegen entschieden – aber der war auch aus einer anderen Zeit, aus den 1970ern, wo über bestimmte Menschen in einem Vokabular geschrieben wurde, das einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Ich kann in der Übersetzung immer noch die koloniale Haltung des Textes verdeutlichen, ohne das N-Wort benutzen zu müssen.

In einigen Büchern habe ich Anmerkungen von Übersetzer:innen über ihre Übersetzungsentscheidungen gefunden. Hältst du das für eine sinnvolle Idee?

Grundsätzlich ja. Ich habe selbst das Nachwort des Übersetzers im Wassertänzer von Ta-Nehisi Coates mit großem Interesse gelesen. Der Übersetzer – Bernhard Robben – erklärt ausführlich, dass alle Charaktere perfektes Deutsch sprechen, weil sie sonst im Deutschen dümmlich wirken würden. Aber so lässt sich an der wörtlichen Rede der Figuren keine Zugehörigkeit mehr festmachen, und alle Charaktere, die Schwarzen und die weißen, die Versklavten und die Plantagenbesitzer hören sich plötzlich fast gleich an.

Bei der Übersetzung von Washington Black musste ich ähnliche Entscheidungen treffen und habe dabei über jede einzelne Figur nachgedacht: Über ihren Bildungsstand, ob Englisch ihre Muttersprache ist oder sie es erst später gelernt haben – wie Big Kit, die aus Dahomey verschleppt wurde.

Das Ding ist, es gibt einfach verschiedene Formen des Englischen, die sich teilweise aus Widerstandsgründen entwickelt haben, und diese Unterschiede können nur schwer im Deutschen abgebildet werden. Bei Vivek Oji ist es Nigerian Pidgin, auch das lässt sich nicht wirklich im Deutschen abbilden. Es funktioniert auch nicht, eine Person dann Pottdeutsch und die andere Berlinerisch sprechen zu lassen – was aber eine Zeitlang so gemacht wurde.

Es gibt wahnsinnig viel, was beim Übersetzen bedacht werden muss, hier und da vergisst man sicher mal was. Ich habe gerade das Belegexemplar von Vivek Oji bekommen und schon als ich mir die ersten drei Seiten angeguckt habe, habe ich Dinge entdeckt, die ich jetzt anders machen würde. Aber irgendwann muss man seine Übersetzung abgeben.

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