Was ist Postkolonialismus? Eine Annäherung in 7 Essays
Ein Ziel von poco.lit. ist, zentrale Ideen des Postkolonialismus zu entmystifizieren. Hier haben wir Auszüge aus 7 Essays zusammengestellt, die verschiedene Aspekte des Postkolonialismus thematisieren.
1. Was heiß eigentlich „postkolonial“?
Postkolonialismus hat sich als kritischer Denkansatz in der Wissenschaft entwickelt und gewinnt seit den 1970er Jahren immer mehr Sichtbarkeit. Eine frühe und bedeutende Form des postkolonialen Schreibens bezeichnen Bill Ashcroft, Helen Tiffin und Gareth Griffith in ihrem 1989 erschienenen Buch The Empire Writes Back (eine Anspielung auf Star Wars) als „writing back“, also „zurückschreiben“ – (ehemals) Kolonisierte präsentieren ihre Sicht und widersetzen sich so der kolonialen Repräsentation. Diese Art des Schreibens ist eindeutig als Selbstermächtigung zu verstehen. Autor*innen eigneten sich die Sprache und Formen an, die der Kolonialismus ihnen als Kolonisierten gewaltsam aufgezwungen hatte, und sie zeigten, wie gekonnt sie ihre eigenen Geschichten zu erzählen wissen. Mehr erfahren.
2. Orientalismus: Eine kleine Einführung
Edward Said, ein palästinensisch-amerikanischer Professor für Literatur, veröffentlichte 1978 eine Abhandlung über Orientalismus, die weithin als einer der einflussreichsten Texte für die Postkolonialen Studien gilt. Darin untersucht Said, wie die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert eine Vorstellung vom „Orient“ und den dort lebenden Menschen konstruierten.
Es wird ein „Wir“ und ein „Sie“ konstruiert und es folgt eine Hierarchisierung: In der vom Orientalismus verkündeten und als universell angenommenen Weltsicht ist es besser, rational und tugendhaft zu sein – und es ist besser, europäisch zu sein. Mit der so konstruierten Überlegenheit ließ sich der eigene Auftrag erklären und rechtfertigen, dass europäische Kolonisatoren über kolonisierte Völker herrschen sollten. Letztendlich geht es also schlichtweg um Macht und sollte entsprechend problematisiert werden. Mehr erfahren.
3. Postkolonialismus und Humanismuskritik
Unter „Humanismus“ fällt wahlweise eine Epoche, eine intellektuelle Tradition, ein Bildungsideal, eine praktisch orientierte Philosophie oder politische Einstellung, die im Kern von Menschenrechten ausgeht und an humanes Handeln appelliert. Dieses umfangreiche Spektrum teilt sich in einen theoretischen und einen praktischen Aspekt. Wer vom Humanismus spricht, der spricht zum einen davon, dass menschliches Handeln und Urteilen prinzipiell von Gründen geleitet werden kann und alle Menschen in diesem Sinne gleich sind. Zum zweiten umfasst die praktische Seite dieses Spektrums den moralischen Anspruch der Humanität. Wer vom Humanismus spricht, der spricht auch von der Würde des Menschen und dem moralischen Gebot eines humanen Handelns. So sehr uns diese mühsam erworbenen Grundsätze zurecht als zu bewahrende Maßstäbe gelten können, so sehr müssen wir uns, als diesen universell gedachten Grundsätzen verpflichtete Fürsprecher*innen, auch ihre historisch ambivalente und missbräuchliche Rolle eingestehen. Der Grundsatz einer Gleichheit aller Menschen und das Gebot des humanen Handelns klaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit im endlosen Streit um die Frage auseinander, was oder wer eigentlich unter den Begriff des Menschen und in den Bereich des Humanen fällt. Mehr erfahren.
4. (Post-)Koloniales Englisch: Über die Sprache von afrikanischer Literatur
Die Debatte über Kolonialsprachen als Medium für Schriftsteller*innen aus (ehemals) kolonisierte Ländern war schon früh eine der zentralen Formen, wie über Sprache im postkolonialen Raum diskutiert wurde. Auf dem afrikanischen Kontinent gelten Chinua Achebe und Ngũgĩ wa Thiong‘o als berühmteste Vertreter ganz gegensätzlicher Seiten in dieser Diskussion. Vereinfacht könnte man ihre Positionen so beschreiben, dass Achebe sich für die englische Sprache als Mittel für die Verbreitung afrikanischer Literatur aussprach und Ngũgĩ dagegen – bis zu dem Punkt, dass er sich entschied, nicht mehr auf Englisch zu schreiben, sondern in seiner Muttersprache Gikuyu. Wie so oft in Debatten, die von Entweder-Oder-Positionen strukturiert sind, ist nicht so sehr die Festlegung auf eine der beiden Seiten interessant, sondern die Ideen und Argumente, die im Verlauf der Diskussion aufgeworfen werden. Mehr erfahren.
5. Dekolonisierung ist keine Metapher
2012 veröffentlichten Eve Tuck und K. Wayne Yang ihren Artikel „Decolonization is not a metaphor“ (Dekolonisierung ist keine Metapher). Darin liefern sie schlagkräftige Argumente gegen den übermäßigen Gebrauch des Begriffs „Dekolonisierung“. Immer mehr Initiativen bezeichnen sich selbst als „dekolonial“ und der Begriff „Dekolonisierung“ ist in den letzten Jahren in unzähligen Mainstream-Diskursen angekommen – von Straßennamen bis hin zu Museumssammlungen. Deshalb scheint es so, als seien Tuck und Yangs Argumente heute mindestens genauso relevant wie vor über zehn Jahren, als ihr Artikel erschien. Mehr erfahren.
6. Europas Albtraum: Die Praxis der Dekolonialität
Die indigenen Bevölkerungen, sowie die verschleppten und vertriebenen Menschen der kolonisierten Staaten fordern mit der Dekolonisierung die Wiederherstellung einer eigenen Ordnung, das Recht auf ihr Eigentum und ihr Land, das Recht auf ihre Ressourcen, ihre Autonomie, ihre Kultur und die Souveränität über ihre Körper ein. Die dekoloniale Sehnsucht ist es, eurozentrische Modelle für die Gesellschaften und Menschen des globalen Südens zu verwerfen und in Abwesenheit von Europa aufrichtige und selbstbewusste Gemeinschaften zu erschaffen. Mehr erfahren.
7. Wie Kolonialismus das Denken in Deutschland bis heute prägt
Viele Menschen, die in Deutschland aufwachsen, glauben, Kolonialismus liege weit in der Vergangenheit und hätte keinen Einfluss auf sie. Aber das stimmt nicht. Postkolonialismus spiegelt sich im eurozentrischen Weltbild, in der Berichterstattung, in der Sprache sowie im Konsumverhalten wider. Mehr erfahren.